Ein Antisemitismus der Attraktion, wie er von Philipp Ruchs Irrenhaus in Performance und, mag sein, unbewusst zelebriert wird, ist die bitterste, aber bloß letzte Note dieser miesen Darstellung. Es beginnt immer schon früher als es beginnt. Continue reading »
Das Übel um Sahra Wagenknecht begann lange vor ihrer neurotischen Jagd auf dusslige Wählerstimmen, die die Linke in einer Zeit, da rechterseits noch keine selbstbewusste Kraft etabliert war, ohnehin immer nur geborgt hatte. Es begann Ende der Neunziger Jahre, als Wagenknecht den Leninismus entsorgt und die kommunistische Opposition innerhalb der PDL zerschlagen hat. An deren Stelle trat zunächst ein diffuser Antiimperialismus und schließlich ein nach rechts offener Populismus. Immer stramm mit der Zeit, denn wo Schröder und Chirac 2003 den Antiamerikanismus nutzbar machten, durfte man den Anschluss genau so wenig verpasst haben wie 2015 beim Ruck nach rechts, der bis heute das Denken und die politischen Zuordnungen verwirrt.
Der Nation-Begriff der DDR war im Grunde der französische, in dem das Volk aus dem sittlichen Charakter des konstituierten Staats abgeleitet wird (anstatt seinerseits den Staat zu konstituieren). Noch je war der Nationalismus von oben, obgleich nie ganz vernünftig, der der Vernunft sich etwas weniger entgegensetzende. Und er gab – anders als der impulsive, im Widerstand gebildete, notwendig völkische Nationalismus von unten – den Menschen die Möglichkeit, zu ihrem Land aus sittlichen Gründen Ja zu sagen. Continue reading »
»Born in Evin«
Vorm Hintergrund erst des Wissens, wie entscheidend der frühkindliche Abschnitt für die Entwicklung jeder Persönlichkeit ist, erhält dieser Film seine Tragweite. Ungemein persönlich tritt er auf, gleichwohl exemplarisch. Maryam Zaree – Regisseurin, Autorin, Protagonistin – wurde als Kind inhaftierter Dissidenten 1983 im Evin-Gefängnis nahe Teheran geboren und verbrachte dort die ersten Jahre ihres Lebens. Heute arbeitet sie als Schauspielerin in der Bundesrepublik und findet, da kaum jemand mit ihr über diese Jahre reden will, für angezeigt, ein solches Reden zu erzwingen. Ich denke, so muss man diesen Film fassen. Als letztes Mittel eines Menschen, sein Recht auf Wissen durchzusetzen. Continue reading »
Man kommt recht bald dahinter, dass Utopien tatsächlich nicht realisierbar sind, sie aber als Kompass benötigt werden, wenn man mehr als bloß verwalten will. Auch die Magnetnadel zeigt auf einen Punkt hinterm Horizont, der nicht erreichbar ist, doch besser, man folgt ihr als gar keiner Richtung im wahllosen Herumzukreuzen. Continue reading »
Zur Spaltung der real existierenden Ideologiekritik[1]
Ich kann keine Karikaturen malen. Das mag daran liegen, dass ich überhaupt nicht malen kann. Könnte ichs, brächte ich folgendes aufs Papier: Ein Mann hält vom Podium einer Pressekonferenz eine Phantomzeichnung in die Luft. Die Zeichnung zeigt ein Gesicht, das dem des Mannes aufs Haar gleicht. Darunter in Anführungszeichen: »Wir fahnden nach diesem Mann.« Die Karikatur könnte den Titel »Ideologiekritik« tragen, würde aber auch so, denke ich, nicht verstanden werden. Die Sache allerdings hätte einen Vorteil. Ich könnte jetzt aufhören. Continue reading »
»Skin«
Es scheint retrospektiv fast zwingend, dass Regisseur Guy Nattiv den Stoff um den Neonazi Bryon Widner von der Erzählung weg auf die Bildsprache hin gestaltet hat. Denn nicht der Inhalt, nicht die Erzählung – das titelgebende Motiv der bemalten Haut macht die Besonderheit dieser Biographie. Widner musste seinen Ausstieg aus der Szene ebenso auf der Haut vollziehen wie darunter. Insgesamt 612 Sitzungen waren nötig, die zahllosen Tattoos verschwinden zu lassen, die seinen Körper bis ins Gesicht bedeckten. Dass das Entfernen so schmerzhaft wie das Tätowieren war, kann als lex talionis verstanden werden: die Strafe spiegelt das Vergehen. Continue reading »
»Gelobt sei Gott«
Wie die Genrebezeichnung lässt sich auch das Thema eines Kunstwerks als Vertrag mit dem Publikum verstehen. Gewiss kann man Verträge brechen, und mitunter liegt genau dort der Reiz. Nur gibt es Zusammenhänge, da gehört sich das einfach nicht. Wo ein Film als Film für die Opfer antritt – wo es also nicht ums Investigative und nicht um den modus operandi des Täters geht –, dort sollte er dann auch wirklich von den Opfern handeln. Das große Drama »Spotlight« (2015) war, bei aller Sensibilität, eine Missbrauchs-Exploitation, um seinem eigentlichen Thema, dem investigativen Journalismus Huld zu tun. »Utøya 22. Juli« (2018) blieb dagegen strikt in der Perspektive der Opfer, geriet aber zum Festspiel der Eitelkeit, das den gesetzten Zweck sabotiert. »Gelobt sei Gott« nun ist nichts weniger als ein Lehrbeispiel. Eines Films nämlich, der sich durch seinen guten Zweck nicht zu falschen Mitteln verführen lässt. Continue reading »
Der Irrsinn dieser Tage lässt sich in einen Satz fassen: Die Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot-Fraktion und die Das-Boot-ist-voll-Fraktion werfen sich gegenseitig ihre Dummheiten an den Kopf und begründen in der gemeinsamen Annahme, dass ein Drittes nicht gegeben sei, ihre furchtbare Doppelherrschaft über alles andere. Continue reading »
»Paranza – Der Clan der Kinder«
Dieser Film hat gleich mehrfach schwer Erbe tragen. Roberto Saviano, Autor der Vorlage »La paranza dei bambini« (2016) und Co-Autor des Drehbuchs, hatte 2006 mit »Gomorrha« eine Publikation hingelegt, die derart ins Herz Süditaliens traf, dass er seither unter Schutz vor diversen Mafia-Clans leben muss. 2008 wurde »Gomorrha« vom großen Matteo Garrone zum Spielfilm verarbeitet. Mit der politischen Verwicklung, der erzählerischen Wucht und Breite wie auch der inszenatorischen Meisterschaft des Vorgängers kann »Paranza« gewiss nicht Schritt halten. Der Film bleibt in vieler Hinsicht bescheiden, vermag aber genau darin seine Momente zu stiften. Continue reading »
»Ein ganz gewöhnlicher Held«
Im Mittelpunkt des Dramas steht ein Mann, der eine zweite Chance erhalten hat. Die Rede ist von Stuart Goodson, der eine Zeit lang obdachlos war und heute in einer öffentlichen Bibliothek arbeitet. Die Rede könnte auch sein von Emilio Estevez, der Stuart Goodson erdacht hat und ihn selbst spielt. Er, der im Kino nach frühen Erfolgen lange nicht mehr vorkam, kehrt jetzt zurück, beinah als Wiedergänger seines Vaters Martin Sheen, dem er nicht bloß ähnlicher sieht denn je, dessen Würde und Ernsthaftigkeit in sein Spiel eingegangen scheint. Estevez verkörpert die sanfte Unerbittlichkeit Stuarts so gut, dass der Realismus der Handlung an keinem Punkt Schaden nimmt. Continue reading »
»Kursk«
So eigenartig, dass Thomas Vinterberg sich überhaupt dieses Stoffes bemächtigt, so folgerichtig scheint, dass er – wenn nun schon einen U-Boot-Film – gerade diesen dreht. Das Genre hat bislang wenig Gediegenes und eigentlich immer dasselbe hervorgebracht. Meist geht es um eine Art Duell, den Kampf eines Mannes gegen einen anderen oder gegen eine übermächtige Flotte. »Duell im Atlantik« (1957), »U 23« (1958), »Das Boot« (1981) oder »Jagd auf Roter Oktober« (1990) erzählen diesen Kampf ganz konventionell, während »Crimson Tide« (1995) und »Black Sea« (2014) das Duell immerhin schon ins Innere des U-Boots verlegen. Wo diese Art Helden gezeugt werden, kann gedankliche Tiefe selten mit der ozeanischen mithalten. Continue reading »
»Five Fingers for Marseilles«
»Die einzige Art Veränderung hier ist die Zuspitzung.« Wenn so ein Satz in einem südafrikanischen Film fällt, will das was heißen. Vielleicht, dass die Überwindung der Apartheid zugleich den Abbruch einer umfassenderen Entwicklung markierte, einer, die über die juristische Form hinausgeht. Dieser Film spielt, durch einen Sprung von 20 Jahren, in zwei verschiedenen Zeiten, und zugleich spielt er mit ihnen, indem sich das alte und das neue Südafrika kaum unterscheiden: Kein Fortschritt, keine Prosperität, kein Zuwachs an Glück wird am Gefälle kenntlich. Nur die Schusswaffen sind moderner. Continue reading »
»Push – Für das Grundrecht auf Wohnen«
Wohnen, so viel weiß jeder, ist längst zum größten Problem all jener Menschen geworden, die nicht wenigstens der gehobenen Mittelklasse angehören. Wenn etwa die Hälfte des Einkommens für Miete abfällt, stimmt was nicht. Zur Aufklärung der genaueren Zusammenhänge leistet Fredrik Gerrtens Dokumentation »Push« Unwahrscheinliches, indem sie dem Publikum sichtbar macht, was selbst routinierten Verächtern des Kapitalismus noch eine Nachricht wert sein müsste. Schon eigenartig dann, und fast ein Kunststück, dass dieser wertvolle Film am Ende des Abends doch mehr schadet als nützt. Er hat eine große Tendenz, und die besteht darin, sich der einen großen Tendenz zu verweigern. Continue reading »