Apr 042014
 

Ich hatte eine Weile lang den Ehrgeiz, ein Buch zu schreiben über klassische Fehler oder eristische Kniffe in Diskussionen. Material sollten öffentliche Streits im Web 2.0 sein, vornehmlich über politische Themen. Ich bin von dem Vorhaben abgekommen, weil das Material endlos ist und ich zu anderen Dingen mehr Lust hatte. Hinzu kommt, daß die wirklich bemerkenswerten Klassiker fehlerhafter bzw. eristischer Figuren – etwa die petitio principii, die self-fulfilling prophecy, das hysteron proteron oder die conversio simplex – längst im Bewußtsein der Allgemeinheit angelangt sind. Diese Fehler werden tatsächlich nur von Dummköpfen begangen und von jedem halbwegs Befugten sogleich erkannt.

Einer jener Klassiker aber scheint mir bislang nicht hinreichend bewußt und nicht selten auch von klugen Köpfen in Gebrauch genommen zu sein. Ich meine die Verwechslung von Name und Begriff. Die ist nach meiner Beobachtung eine der häufigsten Fehlerquellen für gescheiterte Diskussionen insgesamt. Ich bin vor einiger Zeit bei William von Ockham auf eine Beschreibung gestoßen, die hierzu die Grundlage liefert:

»Ich sage aber, die Laute seien den Begriffen oder Intentionen der Seele untergeordnete Zeichen, nicht weil bei eigentlicher Auffassung des Ausdrucks Zeichen die Laute stets die Begriffe der Seele zuerst und eigentlich bedeuten, sondern weil die Laute zur Bedeutung desselben, was durch die Begriffe bedeutet wird, eingesetzt worden sind; und zwar so, daß der Begriff zuerst und von Natur aus etwas bedeutet und der Laut dasselbe an zweiter Stelle bedeutet, so daß ein zur Bedeutung eines durch einen Begriff Bedeuteten eingesetzter Laut dann, wenn der Begriff sein Bedeutetes änderte, von selbst und ohne eine neue Einsetzung sein Bedeutetes verändert. […]

Unter diesen Termini aber können gewisse Unterschiede aufgefunden werden. Der erste Unterschied besteht darin, daß der Begriff oder der Eindruck in der Seele von Natur aus bedeutet, was er bedeutet, der ausgesprochene oder geschriebene Terminus hingegen nur durch willentliche Einsetzung etwas bedeutet.

Daraus folgt ein weiterer Unterschied, nämlich daß der ausgesprochene oder geschriebene Terminus sein Bedeutetes durch Übereinkunft ändern kann, der gedachte Terminus aber sein Bedeutetes nicht durch irgendwelche Übereinkunft ändern kann.«

(Summa Logicae, I.1)

Nun befindet sich Ockham etwa an dem Ort, den Hegel die erste Stellung des Denkens zum Objektiven genannt hat (Enz. §26). Er hat den neuzeitlichen Prozeß der Erkenntnistheorie nicht durchlaufen, hängt der klassischen Metaphysik an und glaubt folglich, daß das Logische das Natürliche ist und dieses Natürliche durch unsere Begriffe realitär erfaßt werden kann. Aus diesem durch keine Reflexion gebrochenen Verhältnis des Denkens zum Sein folgt Ockhams Formulierung, daß Begriffe »von Natur aus« etwas bedeuten. Übersetzt man diese historisch bedingte Ausdrucksweise ins Moderne, wird klar, daß es Ockham nicht um ein ontologisches, sondern um ein logisches Verhältnis geht, nämlich in der Tat um das von Name (Laut) und Begriff. Worauf Ockham hinauswill, ist, daß jeder Begriff eine logische Struktur hat, die nicht willkürlich, und eine Benennung, die durchaus willkürlich ist.

Ein Begriff ist mehr als eine singuläre Bestimmung. Jeder Begriff setzt eine Reihe von Begriffen voraus und hat eine Reihe von Begriffen zur Folge. Zudem kann er Teil eines anderen Begriffs sein oder sich selbst aus anderen Begriffen zusammensetzen. Er ist somit stets eine logische Struktur, sowohl selbst als auch in dem Geflecht, in dem allein er das sein kann, was er ist. Diese logische Struktur nun, die den Begriff ausmacht, ist nicht verhandelbar. Sie muß in sich konsistent sein, darf also keinen Widerspruch zu den restlichen Aussagen des Kalküls, in dem der Begriff steht, dulden und muß überhaupt makellos im Sinne der logischen Regeln sein. In diesem Sinne, und nur in diesem, ist sie naturgegeben, also genauer: bedingt durch das menschliche Denken als solches, das ja – ob man nun glaubt, daß es natürlich ist, oder nicht – alles andere als bloß willkürlich, sondern problemlos verallgemeinarbar ist.

Die Benennung hingegen, also die Belegung des Begriffs mit Lauten, ist eine Frage der Konvention. Sie ist oftmals durch diese Konvention festgeschrieben, aber durchaus willkürlich, denn sie hätte ebenso gut auch anders festgelegt werden können. Und der Umstand, daß die Sprache sowohl voller Homonyme als auch voller Synonyme ist, zeigt, daß Konventionen mehrdeutig sein können. Jede Denotation bringt eine Unmenge an Konnotationen mit sich, und jeder einzelne Mensch führt seinen persönlichen Apparat von Begriffen spazieren, der von dem eines jeden anderen verschieden ist, weil es praktisch unmöglich scheint, daß zwei Menschen beim selben Wort exakt dasselbe denken, außer sie hätten dieselben Fähigkeiten, Neigungen und Erfahrungen, wären mit anderen Worten identisch.

Benennungen wie Ideal, Vernunft, Verstand, Ideologie, Freiheit, Demokratie, Genie, Ware, Geist, Mythos, Nation, Volk, Klasse, Religion usw. – Begriffe also, die auf Verhältnisse zwischen Menschen zielen und einen geistigen Anteil besitzen, sind in diesem Zusammenhang besonders vertrackt, weil hinzukommt, daß es hier so etwas wie eine Konvention bezüglich ihrer Bedeutung bzw. ihrer begrifflich-logischen Struktur nicht gibt. Eine Konvention wäre immerhin arbeitsfähig. Man muß sich nicht auf sie berufen, aber man kann es. Bei denjenigen Namen, deren begriffliche Belegung durch keine Konvention geregelt ist, ist es prinzipiell unmöglich, sich zu verständigen, außer zwei Menschen fänden sich in der gemeinsamen Einsicht, daß sie mit demselben Namen von verschiedenen Begriffen sprechen.

Was den Umgang mit der Differenz zwischen Name und Begriff so schwierig macht, ist, daß beide in der Praxis stets zusammenfallen. Wir benutzen Namen, um Begriffe zu bezeichnen. Der Name macht den Begriff kenntlich, wenn allerdings ein anderer Begriff mit ihm belegt wird, ist das zunächst gar nicht bemerkbar, da wir uns ja ausschließlich mittels Sprache verständigen und sich nicht der Name, sondern das, was er bedeuten soll, geändert hat. Ein Begriff besitzt also zum mindesten einen Namen, der auf ihn verweist, und kann nur mittels eines Namens kenntlich gemacht sein, aber was er eigentlich ist, wird erst durch seine logische Struktur – seine Definition, seine Prämissen und seine Implikationen – klar. Der Begriff kann falsch nur im Sinne seiner logischen Struktur sein. Sein Name hingegen kann bloß falsch sein durch – und wohlgemerkt im günstigsten Fall – Verstoß gegen die Konvention. Wo gar keine Konvention besteht, ist er nicht einmal in diesem konventionellen, ohnehin nicht zwingenden Sinne falsch.

Ich habe genug rumgeeiert und werde also anschaulich:

A führt zum Begriff des Ideals aus, daß Nicht-Realisierbarkeit Teil seiner Bestimmung sei. B entgegnet mit Einwänden gegen das Element der Nicht-Realisierbarkeit. In diesem Moment haben A und B aufgehört, über denselben Begriff zu reden. Was B A entgegenhält, ist nicht ein Fehler im begrifflichen Geflecht, sondern ein ganz anders strukturierter, eigener Begriff des Ideals. Ihr Dissens betrifft also keine logische Struktur, solange die nicht selbst angegriffen wird, sondern tatsächlich bloß die unterschiedliche Verwendung der Lautfolge I-de-al.

So dargelegt, scheint es nachgerade banal. Und dennoch zeigt mir die Beobachtung des Diskussionsverhaltens selbst begabterer Mithengste, daß dieses einfache Verhältnis allzumeist im Unbewußten bleibt und Diskussionen in Folge windschiefer Reden und Gegenreden ins Autistische kippen. Wäre diese Differenz bewußter, redete man deutlich seltener aneinander vorbei. Zudem wäre es ein famoses Training für autoritäre Charaktere, gelegentlich einzusehen, daß andere Menschen auch einmal schöne Gedanken haben können, ohne daß die sich nun gleich restlos in das eigene Begriffssystem einordnen lassen. Hier mache ich Schluß. Ich will ja die Welt gar nicht besser machen. Es reichte mir schon, wenn alle Menschen etwas öfter auf mich hörten. Zweimal in der Woche, ehrlich, mehr will ich nicht. Darum, und natürlich, weil es auch ein schönes Beispiel für die Differenz von Lauten und Begriffen ist, lasse ich das letzte Wort Giovanni Trapattoni: Offensiv ist wie mache in Platz.

Sorry, the comment form is closed at this time.