Mrz 182019
 

Und gelegentlich wird jemand erschossen: »Wintermärchen«

Der Titel drängt sich auf. Man denkt an Deutschland, Heine, das dumme Sommermärchen von 2006 und müsste noch am ehesten jenes kaum bekannte, späte Drama Shakespeares erinnern, worin gleichfalls das Politische hinterm Persönlichen verschwindet. Denn das passiert in diesem Film, und allein seine Atmosphäre – die hektische Kameraführung, die karge Beleuchtung, worin der Eindruck eines nie enden wollenden Novembers entsteht – wird dem Titelmotiv gerecht. Der Rest hängt so im Raum.

Am Anfang stand, was eigentlich jedem Kunstwerk guttut: dezidierte Beschränkung. Regisseur Jan Bonny wollte die Geschichte des NSU mit voller Konzentration auf die Gruppe selbst erzählen, deren innere Dynamik auf eine Weise erfahrbar machen, die dem Zuschauer verunmöglicht, selbstgefällig, im Dünkel des besseren Milieus, auf die Akteure zu blicken. Ziel sei, dass sich die »Zuschauer nach dem Film gegen den Film wehren müssen, dass wir ihn nicht abhaken können, dass er uns in die Auseinandersetzung zwingt.« Aufklärung will hier nicht mittels Begriffen, sondern durch Empfindungen wirken. Gewiss liegt in jeder theoretischen Einordnung ein Moment des vorschnellen Bewältigens. Was abgelegt wird, ist bald auch weggelegt. Politische Impulse ergeben sich nicht aus Erkenntnissen, sie müssen ihnen eher noch entgegenwirken. Daraus folgt durchaus nicht, dass aufs Begreifen zu verzichten sei.

Für den Film selbst hat die Konzentration auf die drei Hauptpersonen zunächst den Vorteil, dass dramatische Dichte an die Stelle epischer Weitläufigkeit treten konnte. Zum andern wurde unvermeidlich, das Verhältnis der tatsächlichen NSU-Zelle auf drei fiktive Personen zu übertragen. Die damit eröffnete Freiheit nutzt der Film, so tief in das Seelenleben der Beteiligten vorzudringen, dass praktisch alles andere auf der Strecke bleibt. Es wird bebrüllt, geheult, gesoffen und gefickt. Gelegentlich wird jemand erschossen. Dann wieder Geschrei und Beischlaf. Als Verhaltensstudie langt das hin; behutsam und pointiert wird eine Dreiecksbeziehung entwickelt, in der Sadismus und Narzissmus den Antrieb ausmachen, während sich unterdrückte sexuelle Neigung als Aggression nach außen richtet. Und vermöge des Terrortreibens verwandelt sich entmutigte Liebe, die zu Hass wurde, tatsächlich wieder zurück in eine neue Form der Liebe. Das kann, wer Lust hat, als Metapher auf die Volksgemeinschaft verstehen, die ja auch als soziales Konstrukt ihr Miteinander über den (juristischen oder physischen) Ausschluss eines Anderen herstellt. Den ganzen Film zu tragen, aber, reicht das nicht hin.

Terror hat psychologische Wurzeln, zugestanden, und bleibt doch ein politisches Phänomen. Jan Bonny setzt in »Wintermärchen« fort, was er vor 12 Jahren mit »Gegenüber« (2007) schauderhaft bedrückend begann. Nur dass hier die Behandlungsweise dem Stoff nicht angemessen ist, da es um mehr als bloß das Private geht. So ergibt der Film sich bald einem Gewaltnaturalismus und erinnert dann tatsächlich mehr an Monumente der Ratlosigkeit wie »Perdita Durango« oder »Natural Born Killers«. Es dauert unglaubliche 40 Minuten, bis das erste politische Gespräch zu vernehmen ist. Die für das Nazi-Milieu typische Überfrachtung mit Ideologie – Verschwörungstheorien, Rassenkunde, alternative Geschichtsdeutungen – erscheint hier gar nicht. Die Verwicklung der Staatsorgane in die militante Neonazi-Szene, die Scheinheiligkeit des Juste Milieu, das dieselben Ressentiments notdürftig entstellt reproduziert, die politische Auswirkung von Armut und Perspektivlosigkeit in Regionen, die der Kapitalismus nach 1990 in Ödland verwandelt hatte – all das, was dem konkreten Phänomen des NSU-Terrors einen allgemeineren Hintergrund geben könnte, bleibt in dieser Story unverhandelt. So wird eine interessante, effektvoll inszenierte, psychodynamische Story verschenkt, die als Mantel für den NSU-Skandal einfach zu klein ist.

»Wintermärchen«
Deutschland 2018
Regie: Jan Bonny
Drehbuch: Jan Eichberg, Jan Bonny
Darsteller: Thomas Schubert, Ricarda Seifried, Lars Eidinger
Länge: 125 Minuten
Starttermin: 21. März 2019

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in: junge Welt v. 18. März 2019.

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