Jan 192019
 

»Fahrenheit 11/9«

Im Juli 2016, als praktisch alle Umfragen eine Niederlage des Kandidaten Trump anzeigten, sagte Michael Moore dessen Sieg voraus. Rufer in der Wüste gibt es wie Sand daselbst. Doch hier war kein Kokettieren mit einer Außenseitermeinung im Spiel, kein Berauschen am Szenario eines Hampelmanns im Weißen Haus, der dem Kapitalismus endlich das passende Gesicht gebe, kein Clinton-ist-eigentlich-schlimmer-Unsinn, keine Verwechslung des übergreifenden Interesses am Weltfrieden mit der partikularen Position der imperialistischen Macht Russland gegen die imperialistische Hegemonialmacht USA. Moores Text nannte fünf substantielle Gründe. In »Fahrenheit 11/9« liegt jetzt der Versuch vor, diese Gründe retrospektiv auszubreiten. Aus »5 reasons why Trump will win« wurde »How the fuck did this happen?«

Numerieren wir Moores Vorhersage durch. (1) Midwest-Arithmetik: Hillarys Vorsprung beim Popular Vote sei unerheblich, weil Donald traditionell blaue, im Wahlsystem entscheidende Staaten wie Ohio oder Michigan gewinnen werde, deren starke Arbeiterklasse von den Demokraten verraten wurde; (2) wütende weiße Männer: Sie nehmen den Verlust ihrer kulturellen und politischen Vormachtstellung, das Herstellen von Gleichheit also, als Benachteiligung wahr; (3) das Hillary-Problem: Niemand mag sie, weil sie unablässig ihre Position wechselt und als Teil des etablierten Betriebs gesehen wird; (4) enttäuschte Sanders-Anhänger: Natürlich werden sie Clinton wählen, aber ohne Begeisterung, weshalb die Mobilisierung von Freunden und Verwandten oft ausbleibt; (5) der Jesse-Ventura-Effekt: In der Wahlkabine spürt der kleine Mann seine Macht, er wählt den größten Trottel, einfach weil er es kann.

Man muss den Stil Moores verkraften können. Stets stakt man bei ihm durch einen Sumpf aus Populismen, Kurzschlüssen und bloßen Pointen, doch darunter schimmern immer wieder rohe und geschliffene Diamanten hindurch, die den Aufwand lohnen. Da stehen neben albernen Inzest-Andeutungen zu Donald und Ivanka oder dem von keiner Reflexion getrübten Hochloben jugendlicher Weltverbesserer treffende Darlegungen zur betrügerischen Ausbootung von Bernie Sanders oder dem Trinkwasserskandal von Flint. Struktur ist Moores Sache nicht; er kommt vom einen aufs andere, verweilt in kaum integrierten Digressionen und macht keine Kapitel. Ab und an nimmt er einen liegengelassen Faden wieder auf, wechselt abrupt das Thema, vermittelt die Übergänge weder durch Worte noch filmisch. Seine Interviews scheinen eher Beiwerk, der Voice-over-Kommentar die Hauptsache zu sein. Moore ist nicht der Mann, sich auf die Wirkung des Materials oder die Worte anderer zu verlassen. Die Musik ist gleichfalls manipulativ, dick aufgetragen teilt sie dem Publikum in jedem Moment mit, was es zu fühlen hat. Dagegen kommt im Visuellen hauptsächlich Stock-footage zur Anwendung und weniger Selbstgedrehtes, so dass der Eindruck einer Collage entsteht. Unwillen zur Form also und Verzweckung des Gezeigten feiern hier Hochzeit. Moore ist Propagandist. Aber ein guter.

Der größte Vorzug dieser als Dokumentation verkleideten Abrechnung ist, dass sie vorgeblich über Trump und tatsächlich von den Demokraten handelt. Das passt nicht nur, weil die Ursachen für Trump nicht allein in Trump oder den verkorksten Dispositionen seiner Anhänger liegen: Sein Erfolg wurde maßgeblich von der vorausgegangenen Politik ermöglicht. Es passt auch, weil die Solidarität gegen Trump ihrerseits jene linksliberale Konsens-Sauce stärkt, die einen Mitgrund seines Erfolgs ausmacht. Clintons Kampagne hatte bloß negativen Charakter, sie arbeitete – wie Trump – mit Angst: vor Intoleranz und drohender Autokratie. Das eigentlich positive Ziel der Integration wurde genutzt, die Sozialpolitik auszusperren – die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen durch Ausschluss der Arbeiterklasse. Natürlich musste man (seit der Parteitag seine ekelhaften Tatsachen geschaffen hatte) für Clinton sein. Sie war das kleinere Übel, mit Betonung auf ›Übel‹. Sich allein an Trump abarbeiten aber, das ist Gesellschaftskritik vom Band. Er irrationalisiert alles, auch seine Gegner. Der Glaube an Checks & Balances wird durch den dauernden Skandal-Porno seiner Kapriolen erschüttert und verdeckt den Blick für den Systemcharakter dahinter.

Dahin allerdings gelangt auch Moore nicht; seine demokratische Gesinnung ist ihm im Weg. Er kann politische Alternativen bloß als Bewegung von unten, als Änderung des Betriebs von innen her denken. Er stellt die Systemfrage nicht als Systemfrage und installiert damit seinerseits ein affektiv besetztes Bild von Demokratie, das den Gedanken nicht zulässt, ein Phänomen wie Trump könne gerade genuiner Ausdruck des demokratischen Verfahrens sein. Diese Leerstelle verlangt nach einem Kitt, den Moore in den letzten 30 Minuten nachreicht. Horrende Untergangsszenarien und arbiträre Hitler-Vergleiche pflastern einen Weg ins Nichts. Sie erhellen bloß, dass jeder Versuch, einen Populismus von links zu begründen, seinen Zuwachs an unmittelbarer Wirkung mit einem Mangel an Haltbarkeit bezahlt.

»Fahrenheit 11/9«
USA 2018
Regie: Michael Moore
Drehbuch: Michael Moore
Länge: 128 Minuten
Starttermin: 17. Januar 2019

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in: junge Welt v. 19. Januar 2019.

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