Über Doping und was die Leute daran stört
Nämlich gar nichts
Beginnen wir mit dem Eigenartigen. Niemand interessiert sich für Doping. Der Satz muss für wahr gelten, denn während tatsächlich sehr oft über Doping gesprochen wird, beweist die Art, wie es geschieht, dass Doping selbst überhaupt kein Thema ist und im Reden darüber ganz andere Probleme bearbeitet werden. Ich versuche, mich verständlich zu machen. Es sollte nicht länger dauern als ein 3000-Meter-Lauf.
Alles hängt an der Frage, ob Doping die Regel oder Ausnahme ist. Da es durchweg im Verborgenen passiert, scheidet Empirie als Mittel der Erkenntnis allerdings aus. Schon hier tanzt der Teufel. Unser Rechtsempfinden verpflichtet zum in dubio pro reo, doch die Logik sagt uns, dass das weltfremd ist. Gedopt wird notgedrungen; jeder Leistungssportler tut es, sofern in seiner Sportart medizinische Hilfe die Ergebnisse steigert. Diese Aussage ist zugleich so provokativ und banal, dass es schwerfällt, sie einfach hinzuschreiben. Zu sagen, was die Welt weiß, scheint für die einen so erforderlich, wie es für die anderen überflüssig ist. Doping wird in der Begeisterung des Zuschauens verdrängt, und ein ganzer Betrieb der Berichterstattung ruht auf der Annahme, dass der sogenannte saubere Sport der Regelfall ist. Zugleich weiß jeder, dass es sich anders verhalten muss. Der Verdacht darf sich aber bloß gegen einzelne Sportler richten. Wo er auf den Leistungssport insgesamt zielt, entsteht, je nach Neigung, Empörung oder Achselzucken und grundsätzlich nie was dazwischen.
Beihilfe durch Doping ist im sportlichen Wettbewerb angelegt. Es passiert, soll das heißen, nicht erst dadurch, dass Geld ins Spiel kommt. Das macht Doping bloß effektiver; es bringt es nicht hervor. Selbst reiner Amateursport wäre von Doping durchdrungen. Thukydides äußerte einmal, in der Sportschau oder so, dass Konflikte zwischen Staaten stattfinden, weil Angst, Akkumulation und Ehrgeiz als konstante Impulse wirken. Dieses Modell lässt sich gut auf Kämpfe zwischen einzelnen Menschen übertragen. In Politik und Ökonomie ohnedies. In weniger existentiellen Bereichen wie der Kunst oder dem Leistungssport fällt die Angst weg, und Akkumulation bleibt wenigstens dort, wo der Athlet mit dem Sport sein Leben finanziert. Doch ohne das bliebe als letzte Konstante stets noch der Ehrgeiz. Das Bedürfnis, dem eigenen Treiben ein Ziel zu geben, das Verlangen nach Auszeichnung, die Gewissheit, anderen überlegen zu sein, der Narzissmus, der sich an Erfolgen aufbauen kann – solche Motive können nicht aus dem Leistungssport entfernt werden, weil sie sein eigentlicher Grund sind.
Der Athlet muss alle Mittel nutzen. Hierzu gehört, neben Training und einer funktionellen Lebensweise, die Beihilfe durch medizinische Verfahren – erlaubte und unerlaubte, wie etwa die Transfusion von Eigenblut oder die Einnahme gelisteter Substanzen. Der Sportler muss das tun, weil er nie ausschließen kann, dass die anderen es nicht tun. Die Kader bei Olympia, Weltmeisterschaften oder Weltcups sind begrenzt, und selbst in einer Welt, worin Milch und Honig fließt und blaue Blumen die Spaziergänger darum bitten, gepflückt zu werden, wo also (illusorisch genug) 8 von 10 Leistungssportlern sich entschieden, auf Doping zu verzichten, könnte ein sauberer Sportler nicht in die Elite vordringen.
Wer Leistungssport will, muss Doping wollen. Und Leistungssport wollen viele. Ist es falsch, ihn zu wollen? Wer sich gesundheitlich schädigen will, soll das tun können, solange es seine Entscheidung ist und man Schädlicheres wie etwas Tabak und Alkohol nicht auch verbietet. Als medial konsumiertes gesellschaftliches Ereignis richtet Leistungssport keinen Schaden an und zerstreut die Menschen nach Ableisten ihrer öden Arbeitstage. Also anders: Was ist denn verkehrt am Doping? Man kann es doch als bloßes Mittel sehen, wie Training oder Ernährung. Dennoch vereinzelt die Wahrnehmung es zum Fremdkörper und trennt es vom Prozess des Leistungssports ab. Das ist richtig und falsch zugleich. Streng genommen lässt sich kein Grund angeben, aus dem ein Unterschied sein sollte zwischen dem, dass ein Sportler viel Eiweiß zu sich nimmt, unter dem Sauerstoffzelt schläft, früh ins Bett geht usf., und dem, dass er sich Präparate verabreicht, die Ausdauer, Muskelwuchs, Regeneration oder Rekonvaleszenz fördern. Man kann wohl alles ins Absurde treiben, doch im Prinzip ist Doping nichts anderes als der Versuch, den Körper außerhalb des Trainings auf den Wettkampf einzustellen. Im Leistungssport müssen diesen Maßnahmen aber selbst zum Wettbewerb werden. Trainieren gleicht dem Wettkampf; ernähren wiederum muss sich jeder Mensch. Doping geschieht eigens zum Zweck des Sports und gleicht ihm doch zu wenig, als genuin betrachtet zu werden. So findet im Grunde ein zweiter Wettkampf hinter dem sportlichen Wettkampf statt, den der gemeine Verstand nicht akzeptieren möchte. Und ganz einfach ist es ja auch nicht.
Würden die Praktiken des Dopings rundweg legalisiert, wäre das Ideal des Naturalen gestört, das dem Sport eigentümlich ist. Doping bleibt äußerlich, synthetisch. Der verdeckte Wettbewerb gehört dem Leistungssport an, ihn aber öffentlich zu machen hieße den Schein zerstören, dessentwegen Sport überhaupt erst genießbar wird. Wir lieben die Vorstellung, dass die Tour de France im Winter gewonnen wird und stellen uns dabei einen durch die Kälte strampelnden Fahrer vor. Nicht jedenfalls einen, der im Hinterzimmer einer spanischen Arztpraxis seine Blutbeutel auffüllt. Doping als Thema legt die Paradoxie des Sports überhaupt frei. Und daher auch steht jeder Staat vor dem Problem, dass er Doping zwar juristisch bekämpfen muss, diesen Kampf aber nicht zu energisch führen darf, wenn er den Leistungssport intern (in seiner Leistung) und extern (seiner Reputation) erhalten will.
Ob deswegen am Doping so oft Ersatzgefechte geführt werden? Der eigentliche Skandal, der darin liegen könnte, der Betrug am Konkurrenten, wird im Leistungssport egalisiert. Da Doping flächendeckend geschieht, kann es nur insofern ungerecht sein, als manche Trainingszentren schneller Zugang zu neuen Mitteln gewinnen oder mehr Geld einsetzen können. Die Ungerechtigkeit im verdeckten Wettkampf ist also dieselbe wie die im offensichtlichen, da auch bei Methoden und Equipment nicht überall dieselben Bedingungen herrschen. Da das jeder weiß, Doping jedoch nicht einfach akzeptiert werden kann, macht sich der Unmut nicht generell, sondern an besonderen Relationen fest. In der Behandlungsweise des Themas schlagen Vorstellungen politischer Ideen durch, die mit Sport oder Doping nur vermittelt zu tun haben.
Die eine wäre das sogenannte Staatsdoping. Geschichtlich mit Blick auf die DDR, worin die insonders für das bundesdeutsche Gefühl erträgliche Vorstellung erzeugt wird, die Unterlegenheit des westdeutschen Sports sei vor allem darauf zurückzuführen, dass im Westen Doping die Ausnahme, im Osten aber die Regel war. Bezogen auf die Gegenwart zeigt sich dasselbe gegen die olympischen Kader Chinas und Russlands, wo verbandsorganisiertes Doping nachgewiesen wurde. So wichtig solche Ermittlungen in dem Sinne sind, dass man wissen sollte, was vorgeht, so sehr beruht die Kritik am Staatsdoping auf einem anti-etatistischen Ressentiment, demnach alles, was nicht direkt vom Staat betrieben wird, bereits weniger schlimm und im Grunde anderen Charakters ist. Jeder positive Test eines deutschen Athleten bleibt damit der Nachweis eines Einzelfalls; jeder ertappte Athlet aus Russland beweist den Systemcharakter. In einem System aber, worin die Verantwortung fürs Steigern der Leistung bei den einzelnen Athleten oder Trainern liegt, kann sich jeder Beteiligte herausreden. Es tun zwar alle, aber keiner tut alles.
Zudem vermag ein solches Ressentiment eine nationalistische Färbung anzunehmen, wenn in ihm die Angst vor aufsteigenden Nationen zum Ausdruck kommt. Russland oder China stoßen, so das Empfinden, in Bereiche vor, in die sie nicht gehören, obgleich sie, so das reale Verhältnis, bloß etwas organisierter tun, was überall getan wird.
Der andere Fall ist der des herausragenden Athleten. Nirgends taucht der Verdacht so oft auf wie dort, wo ein Sportler eine Disziplin auf Jahre dominiert. An Phelps, Armstrong, Bolt, Dæhlie, Bjørndalen oder Bubka störte nie, dass sie wahrscheinlich gedopt waren. Es ist nicht die Unfairness, die den Verdacht hervorruft, sondern der Hass gegen das Herausragende. Denn unfair war es nie. Wenn in den sieben Jahren, in denen Lance Armstrong die Tour de France gewann, sieben verschiedene Fahrer siegreich gewesen wären, gäbe es nicht weniger Grund zum Verdacht. Wäre es aber so passiert, wäre Doping mit Sicherheit seltener vermutet worden.
Das Unbehagen am Staatlichen und das Gefühl des Neids gegen den herausragenden Einzelnen sind die Impulse, nach deren Abzug von der Diskussion um Doping kaum noch was übrigleibt. Ich sagte ja: Niemand interessiert sich für Doping.
—–
zuerst in: ND v. 27./28. August 2017.
Sorry, the comment form is closed at this time.