Aug. 102013
 

Georg Diez begründet eine gute Entscheidung mit einem weniger guten Text. Ich hatte Mühe, wach zu bleiben; zudem ist seine Prämisse erkennbar falsch:

»Denn was sollen Wahlen in einem System, das nur noch als Schrumpfform der Demokratie zu erkennen ist?«

Jede Wahl, jede Form demokratischen Betriebs ist in sich paradox und läuft zwingend auf die eigene Auflösung hinzu. Und das nicht nur dort, wo es an hervorragenden Politikern fehlt, sondern gerade auch in den scheinbaren Sternstunden der Demokratie. Man liest Thukydides und sieht, daß Perikles der erste Bonapartist der Weltgeschichte gewesen ist. Und genau, weil er das war, lief der Laden. Die Demokratie muß sich innerhalb ihres eigenen Ablaufs, also selbst abschaffen, um bestehen zu können. Die wahrhafte Demokratie wird zur wehrhaften Demokratie. Sie stutzt sich zurück auf das haltbare Maß. Man kann die demokratische Wirklichkeit eine Schwundstufe nennen, aber das ist sie immer, und wer also nicht genau angibt, ab welchem Grad er den Schwund nicht mehr zu akzeptieren bereit ist, gibt nicht mehr als nichts an.

Doch kein Wort gegen Prinzipien. Immerhin hat er welche, und keine schlechten (bloß nicht sonderlich gut vermittelte). Wie abgezogen, streberhaft und denunziatorisch wirkt dagegen die Antwort dreier Jungpolitiker der – es paßt immer alles – CSU, FDP und SPD. Tiny happy people holding hands. Aus jedem Satz tritt der Angstschweiß hervor, vom rechten Weg des integrierten Staatsbürgers abkommen zu können, die vollkommene Unvorhandenheit autonomen Denkens zugleich sowie das peinlich-rüstige Pathos des bedingungslosen Aktivismus (»weil wir etwas bewegen wollen«, »davon lebt unsere Demokratie«, »wir wollen unsere Gesellschaft gestalten« und anderer Blödsinn). Nicht fehlen darf natürlich der Hinweis, daß Verweigerung des hiesigen politischen Betriebs »ein Schlag ins Gesicht für jeden ist, der in Syrien, Aserbaidschan, Weißrußland oder in Mali für Demokratie kämpft«. Mit anderen Worten: Solange irgendwo in der Welt jemand um ein erstes Auftreten demokratischer Strukturen kämpft, muß jeder, der bereits solchen Strukturen ausgeliefert ist, jegliche Kröte schlucken und sich stets als Mitgestalter jedes noch so großen Sauhaufens fühlen.

Das ist der Stoff, aus dem Denunzianten gemacht sind. Solche sind es, die an jeder Unterhose schnüffeln und unter anderen historischen Bedingungen auch gern gefragt hätten: Wo waren Sie denn während des Kriegs? Das einzig Verblüffende an dieser diensteifrigen Hetzschrift gegen einen deutschen Intellektuellen, der sich erfrecht, nicht am periodischen Gottesdienst der Volksgemeinschaft teilzunehmen, ist der Umstand, daß die Mutter aller steindummen Argumente für den Gang zur Wahlurne – wer nicht wähle, unterstütze die extremistischen Parteien – darin fehlt. Wäre nachzuholen bei der nächsten Entgleisung des nächsten intellektuellen Zersetzers.

Ich habe vor vier Jahren einen Text geschrieben, von dem ich mich noch heute angemessen vertreten fühle. Er ist, mag sein, etwas epigrammatisch, doch ich habe keine Lust, heute noch einmal zu schreiben, was ich bereits schrieb, bloß dafür, daß es dann besser gesagt sei. Was ich heute hinzuzufügen hätte, wäre ein Element für die B-Note: Wenn Sie eitel sind – und das sollten Sie sein –, kann es Ihnen nicht egal sein, was man von Ihnen denkt. Sie sollten also vermeiden, wiederholt an Ritualen teilzunehmen, die ernstgemeint, aber nicht ernstzunehmen sind. Das ist nicht gut für den Ruf, und Sie wollen doch auch nach dem 23. September noch vom Bäcker in Ihrer Straße bedient werden.

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