»Die perfekte Kandidatin«
Maryam (Mila Alzahrani) führt ein verhältnismäßig modernes Leben im heutigen Saudi-Arabien. Sie fährt selbst Auto und arbeitet als Ärztin im örtlichen Krankenhaus. Ihre Familie achtet die Sharia, fällt aber gleichfalls aus dem Rahmen. Die älteste Schwester Selma (Dae Al Hilali) ist Hochzeitsfilmerin, der Vater (Khalid Abdulrhim) Musiker, die unlängst verstorbene Mutter war dem Vernehmen nach eine Querulantin. Auf der Arbeit gerät Maryam an die Grenzen, die die Gesellschaft ihr als Frau setzt: Pfleger, die sich einer Frau nicht unterordnen, Patienten, die sich von ihr nicht behandeln lassen wollen.
Maryams größtes Problem ist die Zufahrtsstraße zum Hospital. Die Krankenwagen kommen kaum an die Notaufnahme heran, was im Notfall Leben kosten kann. Der Versuch, beim Gemeinderat die Befestigung der Straße zu erwirken, scheitert, und Maryam bewirbt sich daraufhin in einer anderen Stadt. Da Frauen nicht selbständig reisen dürfen, benötigt sie die Erlaubnis ihres Vaters, der aber auf einer Konzertreise weilt. Folglich versucht sie es auf einem anderen Weg und gibt dabei an, für die Wahl des Gemeinderates zu kandidieren. Diese Notlüge erweist sich bald als Möglichkeit, in politischer Position das ursprüngliches Ziel, den Bau der Straße zu verwirklichen. Obgleich aber Frauen formal kandidieren dürfen, scheint nicht vorgesehen, dass sie auch Gebrauch von diesem Recht machen.
Wenig Unerhörtes erzählt dieser Film, subtil und ohne Gepolter, zurückhaltend inszeniert, drückt er künstlerisch zugleich sein politisches Programm aus. Mit einem Humor, der versöhnlich wirkt. Etwa wenn die Geschwister sich informieren, wie man Wahlkampf treibt, und sich dabei am stümperhaften Video eines Alt-Right-Kandidaten orientieren. Oder wenn Maryam auf ihrer eigenen Wahlkampfveranstaltung zugeschaltet werden muss, da nur Männer den Raum betreten dürfen. Beharrlich wird das Toxische neutralisiert, erscheinen die patriarchalen Esel als beschäm- und belehrbar. Dieser Film möchte konstruktiv sein, Teil eines Ganzen, das behutsam reformiert werde. Tatsächlich auch hat sich die Lage der Frauen in Saudi-Arabien um einiges gebessert. Die rigide Kleiderordnung, die Trennung der Geschlechter an öffentlichen Orten, die Vormundschaft der Männer über die Frauen bleiben bestehen, doch viele Berufe wurden geöffnet, und seit 2018 dürfen Frauen sogar selbst Auto fahren. Das ist das Niveau, von dem wir hier reden.
Deutlich wird der tiefsitzende Frauenhass der wahhabitischen Kultur, wenn etwa ein alter Mann lieber leidet als sich von einer Frau behandeln zu lassen. In der misogynen Abwertung wir das sexuelle Begehren von Männern auf die Frau übertragen, die männliche Lust an der Sünde zu ihrer Eigenschaft. Verschleierung soll ihre Reize verhüllen, und die Zuschreibung wird auch von denen akzeptiert, die unter ihr leiden. Der Film veranschaulicht ein ganzes Tableau möglicher Verhaltensformen unter den Bedingungen der Repression. Offene Anfeindung durch Privilegierte, im Zweifel versagendes Wohlwollen von Nichtunterdrückten, Solidarisierung zwischen Unterdrückten, willfährige Parteinahme für den Aggressor. Man denkt an Onkel Tom, denkt an Pelle den Eroberer, an Ditte das Menschenkind, Feuchtwangers Flavius oder das Einknicken von Brechts Galilei. Es hängt schon was dran, nur hängt das hier alles tiefer.
Das System soll nicht attackiert werden, vielmehr konserviert der Film die spärliche Hoffnung auf dessen Reformierbarkeit. Hoffnung ist ja, was erst dort wirklich nötig wird, wo ihre Schwester, die Erwartung, ganz verschwunden ist. Beachtet man den Ablauf der Ereignisse, wird die Botschaft deutlich. Wer ist berufen, bessernd einzugreifen? Maryams Ziel ist die Befestigung der Straße. Als sie das nicht erreicht, sucht sie ihr Glück an einem anderen Ort. Für die Erlaubnis zur Reise wendet sie einen Trick an, und dieses Mittel zum sekundären Zweck (der Stelle anderswo) erweist sich als Mittel zum Erreichen des primären (des Baus der Straße). Der Ortswechsel, heißt das, war nie die Lösung. Einfach weiter nach Westen zu gehen, wie man es aus dem Kino kennt, ist der Versuch, für sich zu lösen, was nur für alle gelöst werden kann. Es geht um eine gesellschaftliche, eine politische Lösung.
Es ist aber gerade der Außenseiter, dem die Pflicht des Eingreifens zukommt. Jedes System begünstigt und formt Charaktere. Wer endlich in die Position gelangt, etwas zu ändern, hat bis dorthin schon selbst Änderungen durchlaufen, sich arrangiert mit den Gegebenheiten, sich unterworfen oder gemildert. Der Außenseiter, der am Betrieb vorbei von der Seite her einsteigt, scheint weniger deformiert durch Opportunismus. Maryam wird zur Heldin eines inneren Wandels, nicht aber zur Umwälzerin. Das Ende des Films ist danach. Ein großes Feuer erlischt, ein kleiner Funke springt über und glüht fort. Das ist recht weltfremd und ungeheuer liebenswert.
»Die perfekte Kandidatin« [»The Perfect Candidate«]
Saudi-Arabien, Deutschland 2019
Regie: Haifaa Al Mansour
Drehbuch: Haifaa Al Mansour, Brad Niemann
Darsteller: Mila Alzahrani, Dae Al Hilali, Nora Al Awadh
Länge: 101 Minuten
Starttermin: 12. März 2020
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in: junge Welt v. 13. März 2020.
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