Nov 222019
 

»Pferde stehlen«

Vermutlich ist Erwartungen zu erfüllen wichtiger für den Erfolg eines Künstlers als gekonnt Überraschungen zu setzen. Das frei genießende, von Fall zu Fall urteilende Publikum existiert nur in der Einbildung, die einer braucht, der sich freimachen möchte von jenen Erwartungen. Dankbar ist das Publikum ihm dafür selten, auch wenn es dann ja gleichfalls befreit wurde. Vielleicht passiert das gerade mit Hans Petter Moland, den man bislang vor allem für düsteren Humor schätzte. Noch sanft in »Ein Mann von Welt« (2010) trieb er das Prinzip in »Einer nach dem anderen« (2014) zum Höhepunkt. Diese kaltschnäuzige Groteske verdeckt mit Witz die Traurigkeit des Vorfalls. In »Pferde stehlen« nun bleibt nichts übrig als diese Traurigkeit. Hier gibt es weder Witz noch Komik, keinen Schwung. Die Figuren handeln nicht, sie erleiden.

In den letzten Wochen des Jahres 1999 kehrt Trond (Stellan Skarsgård), der lange Zeit in Schweden gelebt hat, nach Norwegen zurück, um dort als Einsiedler seine Altersjahre zu verbringen. Er trifft seinen neuen Nachbarn Lars (Bjørn Floberg), in dem er bald einen alten Bekannten erkennt. In Rückblenden erinnert sich Trond an das damalige Geschehen, den Sommer 1948, den er bei seinem Vater (Tobias Santelmann) in den Bergen mit Holzfällen verbrachte. Lars lebte dort ebenfalls, als Sohn der Nachbarn (Danica Curcic, Pål Sverre Hagen), und die komplizierten Beziehungen zwischen diesen und weiteren Personen werden in einer Reihe tragischer Ereignisse, vermittelt durch Tronds Erinnerungen, nach und nach offenbar.

Der eigenartig passiven Haltung aller Figuren, die Dinge passieren zu lassen und kaum je ihr Geschick in die Hand zu nehmen, entspricht die Erzählweise. Dieses Drama ist streng analytisch, alles ist schon geschehen. Es geht nur noch darum aufzuschlüsseln, was genau. Allerdings hätte der Sache auch dann etwas mehr Konstruktion gutgetan. Obgleich die Ereignisse aufeinander folgen, ergeben sie sich nicht auseinander. Figuren kommen in den Focus und verschwinden wieder, Konflikte werden etabliert, aber nicht ausgeführt. Drei Männer lieben dieselbe Frau, ein Kind, das unabsichtlich ein anderes umbringt, ein Freund, der daran zerbricht und irgendwann zur See fährt, ein Vater, der seine Familie verlässt, eine Mutter und eine Schwester, die so spät in der Handlung erscheinen, dass man nicht weiß, was man jetzt noch mit ihnen anfangen soll. Selbst die Beziehung zwischen den alt gewordenen Männern Trond und Lars, die viel Raum erhält, plätschert irgendwie aus. Nichts, was dieser Film beginnt, beendet er auch. So entsteht der Eindruck, er sei überlastet mit Material, das er nicht zur Form bringt. Aber so viel Material ist da gar nicht.

Was man sieht, scheint mehr traurig als tragisch, zu sehr darauf hin geschrieben, dass einem Unglück bald das nächste folgen müsse. So entsteht eine Trauerroutine, die der Wirkung nicht zuträglich ist. Dem entgegenarbeiten könnte gedankliche Substanz, und während der politische Hintergrund (Widerstand gegen die faschistische Besatzung Norwegens) lieblos hineingedrückt und eigentlich überflüssig scheint, die Psychologie der Figuren hingegen gar nicht erst ausgeführt wird, wodurch Beweggründe oft im Dunkel bleiben, macht das Philosophische den Plot durchaus genießbar. Das liegt nicht allein in den Worten, von denen der Film viele hat, auch solche, die was wiegen und hängenbleiben. Es liegt zugleich an der Entscheidung zur Metapher, der bildsprachlichen ebenso wie der poetischen. Wie sukzessive die bewegliche Kamera durch eine stabile ersetzt wird – als Ausdruck abklingender Unruhe und einer sterbenden Liebe –, wie der Schnitt rhythmischer wird, die warmen und kalten Farben je nach Zeit und dramatischer Situation wechseln. Wie die klassisch arrangierte Musik mit den zuweilen stark in den Vordergrund drängenden Hintergrundgeräuschen kommuniziert. Wie jede Einstellung auf Szenenbild, Licht, Farbe, Blocking, Körperhaltung und Mimik hin so ausgearbeitet und durchdacht erscheint, dass die oft bemühte Phrase »every frame a painting« hier wirklich einmal passt. – Alles das ist nicht nur schön, es ist groß.

Die Metapher des Titels – Pferde stehlen – erscheint in mehreren Bedeutungen. Als unbeschwerter Zeitvertreib, als Code des Widerstands gegen die deutsche Besatzungsmacht, als Bild für die Affäre zweier Menschen bzw. den sich daraus ergebenden Vaterraub. Wenn Trond seinen Vater an eine andere Familie verliert, muss ihm das erscheinen, als ob sein Leben von Anderen gelebt wurde. Kränkend die Empfindung, »dass wir vielleicht nicht die Hauptrolle spielen in unserem eigenen Leben«, und wenn die Lösung im Gedanken »Wir entscheiden selbst, wann es wehtut« angeboten wird, erinnert das schließlich doch an Molands bisherige Werke, die gleichfalls davon handeln, wie man mit Verlusten umgehen kann.

»Pferde stehlen« [»Ut og stjæle hester«]
Norwegen 2019
Regie: Hans Petter Moland
Drehbuch: Hans Petter Moland
Darsteller: Stellan Skarsgård, Bjørn Floberg, Tobias Santelmann, Danica Curcic
Länge: 122 Minuten
Starttermin: 21. November 2019

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in: ND v. 22. November 2019.

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