»Booksmart«
Wenn zwei Hänger, die die gesamte Schulzeit mit Saufen, Drogen und Geschlechtsverkehr rumgebracht haben, aus Angst vor mangelhaften Noten beschlössen, in der Nacht vor der Abschlussprüfung sämtlichen Rückstand aufzuholen, wäre diese Idee von derselben Gediegenheit, wie alles, was sie davor im Sinn hatten. Nämliches gilt für zwei Streberinnen, die den Entschluss fassen, in der Nacht vor dem High-School-Abgang alles Vergnügen nachzuholen, das sie bis dahin des Lernens wegen vorbeiziehen ließen. Nur dass sich aus dem zweiten Einfall ein Film erzählen lässt, wenn auch kein sonderlich tiefer.
Besser aber doch als sein Vorbild. Man kann »Booksmart« nicht abhaken als inspirationsarme, durch Inclusion Rider glattgebügelte Weiblich-Version von »Superbad« (2007). Sicher, es fehlt nicht an aufdringlichen Markern – Ruth Bader Ginsburg und Michelle Obama, Susan B. Anthony und Rosa Parks, eine der beiden Hauptfiguren ist natürlich lesbisch, ihr Schlachtruf ist »Malala«. Doch im Gegensatz zu »Superbad«, dem er an Tempo und Charme, situativem und sprachlichem Witz sowie einer herausragenden Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen nicht nachsteht, hat »Booksmart« eine Idee, die über die Beziehung der beiden Figuren hinaus trägt.
Die High-School-Schülerinnen Molly (Beanie Feldstein) und Amy (Kaitlyn Dever) haben bislang alle Konzentration aufs Lernen gelegt. Im nächsten Jahr werden sie ihren Weg an den großen Universitäten fortsetzen. Als Molly merkt, dass die anderen Schüler, die viel Zeit mit Feiern und Vergnügen verbracht haben, gleichfalls in Harvard, Standford oder Yale studieren werden, bricht ihr nicht weniger als ein Weltbild zusammen. Das versäumte Vergnügen muss jetzt nachgeholt werden, und die folgende Nacht gerät zur dichten Staffel absurd komischer Ereignisse, in deren Ablauf verborgene Konflikte aufbrechen und – natürlich – noch vor Anbruch des Tages wieder gelöst werden. Wie überhaupt der ganze Film auf den Gedanken zu zeigen scheint, dass lang etabliertes Ungemach, zu Beziehungen geronnene Missverständnisse und Ressentiments sich binnen einer Nacht auflösen lassen.
Der gleißende Optimismus ist ohne psychologische Verflachung nicht zu haben; er ist programmatisch. Es geht um das, was sein sollte. Das Verhältnis von Pflicht und Neigung, Arbeit und Vergnügen zieht sich zusammen im Titel. Amy und Molly sind book-smart, bücherklug, und man soll das »lediglich« hier mithören. Ihnen fehlt die Erfahrung mit dem Leben, die der Film bezeichnenderweise mit dem Erleben, dem exzessiven Feiern, gleichsetzt. So taugt das ganze recht eigentlich nicht, den im Titel angedachten Gegensatz von praktischer und theoretischer Vernunft dramatisch zu fassen. Es ist halt bloß High School. Nett, und eigentlich auch das nicht. Denn ideologiekritisch wird es interessant.
Für Molly, die weder begehrt noch beliebt ist, sind Klugheit und Schulleistung zu Säulen geworden, die ihr Wertgefühl tragen. Aber die stehen nicht autark. Als Molly erfährt, dass auch die coolen Schüler die erforderlichen Noten für die Elite-Unis erreicht haben, zeigt sich, dass ihre Souveränität nie eine war. Es geht ihr nicht darum, etwas zu erreichen im Leben, sie will besser sein als die anderen. Nur so hat der Verzicht auf Vergnügen für sie Sinn. Ihre Leistung ist durch die Entdeckung unverändert; der ausbleibende Misserfolg der Anderen wird ihr zum eigentlichen Ärgernis. Wir sehen somit das vollständige Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft, zu dem eben immer schon über Pursuit of Happiness hinaus das Kompetitive, die Abwertung, das Ausstechen der Anderen gehört.
Während sich diese Modellierung nun noch als Setting für eine Charakterentwicklung verstehen ließe, sabotiert das Setting insgesamt diesen Ansatz. Auffallend vor allem an dieser High-School-Fiktion ist die Abwesenheit von Verlierern. Allen geht es gut, alle haben Erfolg. Es fehlt Armut, es fehlt Versagen, es ist Elite ohne Auslese. »Booksmart« ist giftiger als jedes Propagandaheft der Bundeszentrale für politische Bildung.
Entsprechend leichtfertig geht die Handlung auch übers durchaus vorhandene Mobbing hinweg. Es erscheint hier als launiges Geben und Nehmen, die Täter-Opfer-Relation ist gestrichen. Das Mobbing der wirklichen Welt findet zwischen ungleichen Kräften statt, wobei die eine Seite von Anbeginn als Verlierer feststeht. Amy und Molly sind selbstbewusste Außenseiter, die die Masse der Spaßhaber verachten und der Umwelt ihren eigenen Wertekosmos entgegensetzen. Die Anderen sind zwar in der Mehrheit, aber auch bloß ein Aggregat von Individuen. Jeder hat auch Gefühle, jeder ist eigentlich lieb. Gänzlich fehlen die stromlinienförmigen Charaktere, die Sadisten, Intriganten und Opportunisten. Das mag charmant gemeint sein und geht am Leben vorbei. High School ist der Ort, wo Coolness und Konformismus schlechthin in eins fallen, und »Booksmart« versäumt, diesen Ort zu zeigen, wie er ist: als Lehranstalt für Asozialität.
»Booksmart«
USA 2019
Regie: Olivia Wilde
Drehbuch: Emily Halpern, Sarah Haskins, Susanna Fogel, Katie Silberman
Darsteller: Beanie Feldstein, Kaitlyn Dever, Lisa Kudrow, Jason Sudeikis
Länge: 102 Minuten
Starttermin: 14. November 2019
—-
in: ND v. 14. November 2019.
Sorry, the comment form is closed at this time.