Sep 232019
 

»Ad Astra«

Dieser Film wird enttäuschen, ohne tatsächlich enttäuschend zu sein. Wer hier ins Kino findet, rechnet gewiss nicht mit Historien wie »Apollo 13« (1995), »Die Zeit der Ersten« (2017) oder »First Man« (2018), deren Handlung naturgemäß physisch ausgelegt ist. Auch nicht mit ganz entrückten Szenarien wie »Forbidden Planet« (1956) und »Journey to the Far Side of the Sun« (1969). Aber wohl doch mit etwas wie »Gravity« (2013) oder »The Martian« (2015), worin eine stark dosierte Nah-Utopie gerade so viel Raum schafft, dass ein physischer Plot sich entfalten kann. Sicher werden einige die Tiefe oder Breite von »2001: A Space Odyssey« (1968), »Silent Running« (1972), »Solaris« (1972), »Interstellar« (2014) erwarten. In der Tat ist »Ad Astra« nichts von all dem, auch nichts dazwischen. Der Film gerät zu tief, um breit, nicht breit genug aber, um wirklich tief sein zu können, und so physisch, dass er symbolisch genommen werden muss. Das klingt paradox, was daran liegt, dass es das ist.

Allein der Titel schon – die unzweifelhaft schönen Einstellungen, teils subtilen, teils überwältigenden Effekte, die Kameramann van Hoytema auf uns prasseln lässt, als müsste er noch beweisen, was er im und auf dem Kasten hat, spielen gerade nicht mit dem Glanz der Sterne, sondern zeigen das Weltall so, wie es sich anfühlen dürfte, wenn man es denn selbst erlebt. Tatsächlich ist der Film mehr per aspera als ad astra, und das wird, wenn wir auf die Deutung kommen, noch wichtig.

Nachdem elektromagnetische Stürme Teile der Erde verwüstet haben, beauftragt die Raumfahrtbehörde SpaceCom den Ingenieur Roy McBride (Brad Pitt), bei der Suche nach seinem Vater Clifford (Tommy Lee Jones) behilflich zu sein. Der war einst Leiter einer Neptun-Mission, die nach intelligentem Leben im All suchte, verscholl und wurde zur Legende. SpaceCom vermutet, dass Clifford noch lebt und für die Stürme verantwortlich ist.

Es geht hier nur vordergründig um die großen Fragen. Das Weltall, die Suche nach anderem Leben darin, die Besiedlung des Sonnensystems machen bloß die Kulisse. Der Star ist die Reise. Die der Erzählung zugrunde liegende Welt wird nicht mehr als gerade so ausgebreitet, dass die Vorgänge verständlich werden. Man erfährt wenig über Produktionsverhältnisse, Politik und Kultur dieser Welt. Etwas klarer wird es, wenn Roy die Erde verlässt und in den halbkolonisierten Raum von Mond und Mars gelangt. Hier erscheint ein Frontier, das den Wilden Westen oder Endzeit-Stoffe ins Gedächtnis ruft – ein motorisierter Kampf in der Mondlandschaft spielt mit Mad-Max-Motiven. Dabei hat längst ein Leben Fuß gefasst, das die Subkultur der Erde reproduziert. »Wir sind Weltenfresser«, sagt Roy, während das DHL-Logo in einem lunaren Shotengai aufblinkt. Jede Besiedlung ist mehr Eroberung als Entdeckung.

Die Frontier-Struktur ermöglicht eine Stationendramaturgie, die im Verbund mit den filmischen Mitteln so aufdringlich an »Apocalypse Now« (1979) erinnert, dass schwer vorstellbar ist, etwas anderes könne die ursprüngliche Idee zu »Ad Astra« gewesen sein als eben der Einfall, Coppolas Riesenbaby am Weltraum neu zu erzählen. Das beginnt beim langsamen Tempo und der personalen Erzählweise, setzt sich fort in der zudringlichen, immer wieder surreale Wirkung provozierenden Visualität sowie jener Dramaturgie, dernach der Held Stationen durchschreitet, die retardierend sind, weil sie den Charakter, doch kaum die Handlung vorantreiben, und wird schließlich unleugbar beim permanenten Voiceover des Helden selbst. Dieses Voiceover wird unterfüttert von einer Filmmusik, die gleichfalls an das Vorbild erinnert, doch anders als dort, wo etwa Wagners Walkürenritt episodische Abwechslung besorgt, ist in »Ad Astra« der gesamte Score in sich so wenig divers, dass man sich fühlt, als ob von der ersten bis zur letzten Minute derselbe Song gespielt werde: eine orchestrale Kleistermasse, aus der es kein Entkommen gibt.

Vor allem aber folgen beide Filme demselben Muster. Ein Mann wird auf die Suche nach einem anderen geschickt, dem er das Handwerk legen soll. Er passiert dabei etliche Stationen, und je weiter er vordringt, desto mehr macht diese Reise mit ihm. Es fällt ihm schwerer, seinen Auftrag zu erfüllen, und er gerät zwischen Ziel und Objekt seiner Mission. Dem Feind, den er zu bekämpfen hat, wird er immer ähnlicher.

Der Star, wie gesagt, ist die Reise, und diese Reise ist eigentlich eine innere. Dazu hätte es der surrealen Elemente gar nicht bedurft, die sich zum Ende hin häufen. Insonders der dramatische Höhepunkt von »Ad Astra« erinnert an die letzte Szene von Carpenters »Dark Star« (1974) und kann nicht plastisch gemeint sein. Auch deshalb muss man den gesamten Film als großes Symbolbegebnis deuten.

Die Reise ins Ich beginnt bei einem Helden, der seine Gefühle vollends unter Kontrolle zu haben scheint. Weil er Ängste ausblenden kann und sich durch keine persönlichen Rücksichten beeinflussen lässt, scheint er für die extremen Situationen der Raumfahrt geeignet. Die Überprüfung des Gefühlszustands ist ein festes Element des SpaceCom-Protokolls. Dass Empathie und Persönlichkeit bei Entscheidungen ebenso wichtig sind wie Disziplin und Können, scheint außer Betracht. Da fragt sich, warum man nicht gleich dem Großrechner alle Entscheidungen überlässt. Der Bezug zu HAL aus »2001« wird subtil immer wieder hergestellt, obgleich Roy ein Mensch ist. Unterdrückung von Emotionen bedeutet gerade nicht, dass sie bewältigt wurden. Der vermeintlich kühle Astronaut erweist sich im Laufe der Handlung als hochexplosives Neurosenbündel.

Auf der anderen Seite der Reise steht Vater Clifford als negatives Alter Ego. Roy nimmt den Kult um den legendären Raumfahrthelden an und begräbt darunter die kindliche Kränkung. Der Vater hatte sich für die Mission und gegen das Leben mit der Familie entschieden, die Lebensaufgabe den Aufgaben des Lebens vorgezogen. Die Sorge um die Menschheit ließ keinen Raum fürs Menschliche.

Station um Station entblättert sich das schwierige Verhältnis der beiden Männer, unerbittlich zerredet von Roy, unerbittlich beschwiegen von Clifford. Der Sohn trägt verdeckte Wut auf den Vater mit sich, die sich im Gedanken rationalisiert, nicht so sein zu wollen wie er. Retrospektiv wird deutlich, dass Roy sich schon lange vor dem Aufbruch seinem Vater angeglichen hatte, indem er den Verlust der Liebe seinerseits durch Unterdrückung der Liebe verarbeitet hat. Bei der Suche nun wird er auch praktisch zum Ebenbild des Vaters, indem er immer deutlicher handelt, wie der einst handelte. Eben dadurch, dass er ihn versucht zu bekämpfen, konserviert er ihn in sich.

Ödipus kam nur bis Neptun. Die Lösung – will das grandiose Finale am dunkel-kalten Ende des Sonnensystems sagen – kann nicht darin liegen, den Vater totzuschlagen. Was die Eltern in uns hinterlassen haben, löst sich nicht, indem wir es ihnen zurückzahlen. Man kann es nicht an ihnen, nur an sich bewältigen. So durchschreitet Roy das interstellare Trümmerfeld der eigenen Seele. Um mehr geht es nicht. Man kann das zu wenig finden, doch sicher nicht zu wenig gelungen.

»Ad Astra«
USA 2019
Regie: James Gray
Drehbuch: James Gray, Ethan Gross
Darsteller: Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Liv Tyler, Donald Sutherland
Länge: 124 Minuten
Starttermin: 19. September 2019

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in: ND v. 23. September 2019.

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