»Frau Stern«
Ahuva Sommerfeld, 1937 in Jerusalem geboren, hat drei Leben gelebt: eines in Israel, eines in Ostafrika und eins in Deutschland. Mit Frau Stern in »Frau Stern« spielte sie die erste Filmrolle ihres Lebens. Da war sie 81 Jahre alt; kurz nach dem Ende der Dreharbeiten starb sie. Der Film handelt übrigens von einer alten Frau, die den Endpunkt ihres Lebens selbst bestimmen möchte.
Dass die Story zum Film interessanter ist als die Story des Films liegt leider nicht nur an diesen gewiss besonderen Umständen, es ist hausgemacht. Handlung als dramatische Eigenschaft findet kaum statt. Wir haben Ruhe, aber keine Exposition, Ereignisse, aber keine Dynamik. Der Film beginnt mit Frau Stern, die bereits ein Ziel hat, aber daraus folgt dann wenig. Ihr Begehren strukturiert nicht das Geschehen und bleibt eher im Hintergrund. Die Dinge passieren einfach, oft weiß man nicht, warum jetzt eigentlich. Vorgänge werden angerissen, nicht fortgesetzt, vielleicht wieder aufgenommen und nie durch Dialog erklärt. So reihen sich Szenen aneinander wie in einer Additionsrechnung, nur selten ergibt sich die eine aus der anderen. Relativ spät findet die Handlung zu einem Konzept, Frau Stern agiert dann, etwas Tempo kommt auf.
Nicht nur die Erzählung scheint vorsätzlich amateurhaft. Durch das 4:3-Format entsteht der Eindruck des Dilettantischen gleichfalls wie durch die disparate Kameraarbeit, die teils eindrücklich, teils ungelenk wirkt. Man kann hierüber verstimmt sein, doch wenn es Credo war, muss man es als selbstgesetzten Maßstab eines Künstlers akzeptieren. Im Schnitt aber sind grobe Dinge passiert, auch ein veritabler Anschlussfehler, wenn zwei Personen bei einem Galerie-Gespräch in einer Einstellung Colaflaschen halten und in der anderen nicht.
Ein Skript scheint kaum benutzt worden zu sein. Die Figuren reden in den Raum hinein, wenig kunstvoll; man fühlt sich schwer an »Toni Erdmann« oder »Warum Siegfried Teitelbaum sterben musste« erinnert. Auch dort folgte die Arbeit der Annahme, dass durch naturalistische Spielweise etwas wie Authentizität entstehen könne, und die erfülle sich einfach im Vermeiden der für den deutschen Film typischen Theatersprache. Das war gleich doppelt daneben, denn zum einen ist diese Redeweise nicht naturalistisch, sondern bloß sperrig, stockend, ungelenk; so redet auch im Leben keiner. Selbst wenn aber, zum anderen, wirklich so geredet würde, es gibt eine Gewohnheit im Ästhetischen. Im Kinosessel erwarten wir das Artifizielle, das Natürliche wirkt auf Bühne und Leinwand viel künstlicher. Und bedauerlicherweise versucht »Frau Stern« Wirkung zu machen mit allerhand ungelenker Verstellkunst, die echte Intensität nicht aufkommen lässt.
Wenn die Sache endlich doch charmant und einnehmend wird, ist das auf die Leistung Ahuva Sommerfelds zurückzubringen. Sie fängt vieles auf, macht es runder, rettet einen Film, der sich mit seinem Credo selbst im Weg steht. Frau Stern ist sympathisch grob, unsentimental im Umgang, witzig, verschlossen und mokant, dabei von einer unberechenbar kommen und gehenden Sanftheit. Eine andere Stärke des Films liegt in den dialogischen Momenten. Lakonisch z.B. leistet der Satz »Man soll abtreten, solange man noch kann« eine gründliche Konversion unserer Denkgewohnheit. Sterben ist eigentlich, wenn man nicht mehr kann. Hier wird Sterben zur Handlung. Zum Problem aber gerät, das, was als Sentenz taugt, ins Dramatische zu übersetzen. Als Handlung gezeigt, verliert dieser Grundgedanke des Films schnell an Dignität. Ich denke, genau das ist der Grund, aus dem der Film formal und erzählerisch derart unentschieden auftritt.
In jedem Selbstmord steckt – nicht ausschließlich, aber stets – ein Bedürfnis, das eigene Leben zu kontrollieren. Seinen Abgang bestimmen, das ist die verkorkste Form dieser Kontrolle, und für manche die angemessene, denn das Leben selbst ist verkorkst. Genauso wie Liebe eine Entscheidung ist und also nicht bloß Bejahung, sondern gleichwohl Verzicht enthält, gehört zum Leben das Ende des Lebens. Folgt daraus, dass ein Recht existiere, sich umzubringen? Die Frage ist heikel, weil sie so gestellt und vom Standpunkt ganz individueller Humanität rundweg bejaht werden müsste. Die praktische Konsequenz aber, der Selbstmord, gewinnt einen anderen Charakter und betrifft viel mehr als bloß die eine Person. Es ist mutig, das Recht auf Suizid zu bejahen, aber auch bisschen dumm. Man merkt dem Film, nicht zuletzt seinem offenen Ende, einen Bammel vorm eigenen Mut an.
»Frau Stern«
Deutschland 2019
Regie: Anatol Schuster
Drehbuch: Anatol Schuster
Darsteller: Ahuva Sommerfeld, Kara Schröder, Murat Seven
Länge: 79 Minuten
Starttermin: 29. August 2019
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in: junge Welt v. 31. August 2019.
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