Mrz 082019
 

»The Sisters Brothers«

Gewiss, das ist ein weiteres Exemplar aus der langen Reihe ›Der ganz ganz andere Western‹. Was noch nichts heißt. Wer heute Western macht, muss abliefern, und Jacques Audiard liefert ab. Seine Adaption von Patrick deWitts groteskem Roman »The Sisters Brothers« geht nach jeder Seite hin auf: erzählerisch, psychologisch, philosophisch und als Kunstwerk.

Die Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) sind als Profikiller für den Commodore (Rutger Hauer) unterwegs, der auf hintergründige Weise die Position ihres verstorbenen Vaters repräsentiert. Sie sollen den Chemiker Warm (Riz Ahmed) töten und ein von diesem entwickeltes Verfahren der Goldsuche an sich bringen. Ebenfalls im Spiel ist der den Sisters vorausgerittene Ermittler Morris (Jake Gyllenhaal), der Warm für sie aufspürt. Lange bleiben beide Ereignisreihen getrennt; die Dramaturgie des Films enttäuscht immer wieder die Erwartungen und hält doch mit gut verteilten Wendungen beständig das Interesse wach.

Dabei kommunizieren die Erzählstränge subtil miteinander. Gelegentlich schließt der eine szenenlogisch an den anderen an. Etwa wenn Charlie betrunken auf dem Pferd wankt und in der unmittelbar nächsten Szene der nüchterne Morris auf einer Planke balanciert. Oder wenn Eli in Hitzewallung das Oberhemd abstreift und man danach Morris sich waschen sieht. Auch die klassischen Western-Elemente betreffend sind Kamera und Schnitt elaboriert und verfolgen mehr als bloß die Absicht, ein Genre zu dekonstruieren. Das bewährte Format 2,35:1 wird vorsätzlich verschenkt, denn Panorama sieht man jenseits von Transit-Szenen kaum. Offenbar soll Orientierung im Raum verunmöglicht werden. Schießereien z.B. finden wahlweise im Off oder bei voller Dunkelheit statt oder sind so geschnitten, dass der Zuschauer nie weiß, wer gerade auf wen schießt. Nichts da von Heldenposen, verwegenen Mienen, eleganten Bewegungen.

Diese Griffe dürften mit dem großen Thema des Films zusammenhängen, dem Übergang des Wilden Westens in die Zivilisation. Obgleich beide Brüder die Gewalterfahrungen ihrer Kindheit verschieden verarbeitet haben – Charlie mittels Aggression, Eli mittels Introversion –, sprechen sie, wie auch Morris und Warm, gestochenes Englisch und wirken zu intelligent für dieses Umfeld, wie moderne Monaden in einer archaischen Zeit. Eli ist der Motor gegen Charlies (anfänglichen) Widerstand; die kindliche Freude, als er das erste Mal eine Toilettenspülung benutzt, das Interesse an der Erfindung der Zahnbürste, der Wunsch, sich als Händler niederzulassen, stehen dafür.

Doch der Film klebt nicht bloß an Realien. Der kalifornische Goldrausch um 1850 kündigte das Ende der ursprünglichen Akkumulation an, die in den Vereinigten Staaten in Form von Besiedlung, Vertreibung und Frontier nachgeholt wurde. Anstelle des noch ungenügend vernetzten Staatswesens trat die umfassende Regelung durch Geld. Die unmittelbare Gewalt im Kampf um Boden und Vieh machte der Jagd nach Gold Platz, und während das Objekt des Begehrens damit entrückter wird, scheint die Bewegung der Menschen im gemeinsamen Rausch einheitlicher. »Der Goldrausch«, notiert Morris, »hat den Job des Detektivs einfacher gemacht. Ob du einen Mann suchst, eine Frau, einen Hund oder ein Pferd – folge der Spur des Goldes, und du wirst sie finden.« Nicht in seinen natürlichen Eigenschaften zeigt sich die umfassende Macht des Goldes, sondern im Streben der Menschen, es zu bekommen. Eine bittere Pointe des Filmgeschehens ist, dass auch die zivilisiertere Form des Kapitalismus den tödlichen Kern in sich fortträgt.

»The Sisters Brothers«
Frankreich, Belgien, Rumänien, Spanien 2018
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Rutger Hauer
Länge: 121 Minuten
Starttermin: 7. März 2019

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in: ND v. 7. März 2019.

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