»Under the Silver Lake«
Sam (Andrew Garfield) lebt in Los Angeles. Ohne Arbeit, ohne Geld für die nächste Miete, und man hat nicht den Eindruck, dass er daran viel ändern will. Den Tag verbringt er zwischen Comics und Videospielen, Bierdosen und Filmen, Geschlechtsverkehr und Spannerei, wobei er Sarah (Riley Keough) kennenlernt. Die lädt ihn ein, obwohl sie weiß, dass er sie mit dem Fernglas beobachtet hat. Als sie am nächsten Tag verschwunden ist, macht Sam sich auf eine lange Suche. – Was nach Odyssee klingt, und wohl auch so gemeint war, gerät zu einer fahrigen Tour in Hollywood mit seinen notorischen Orten, bizarren Ikonen und urbanen Mythen. Sam schlussfolgert sich durch die Stadt, indem er in den banalen Dingen der Pop- und Konsumkultur geheime Zeichen erkennt: Schatzkarten auf Cornflakesschachteln, Botschaften in rückwärts gespielten Platten, Numerologie, Buchstabenfolgen, bildliche Codes. Bald tritt die Suche nach Sarah in den Hintergrund, und das Suchen wird Selbstzweck.
Selbstzweck scheint auch der ganze Film, an dem es so viel zu entdecken und so wenig zu verstehen gibt, dass er schließlich zu einem tief-sein-sollenden Anspielungsporno gerät: Bildzitate, die auf Hitchcock (»Rear Window«, »Psycho«) weisen, Musik im Stil der Noir-Filme, Sams Apartment trägt die Nr. 23, ein totes Mädchen in der Pose des Playboy-Covers vom Juli 1970, ein Songwriter spielt ein Medley aus einem Dutzend berühmter Songs, die er sämtlich komponiert haben will. Manches ist sogar witzig. Etwa wenn Andrew Garfield (der als Amazing Spider-Man berühmt wurde) mit den Händen an einem Spider-Man-Heft klebenbleibt oder der Umstand, dass sich der arbeitsscheue Stubenhocker ausgerechnet mittels Hobo Codes fortbewegt.
Nur folgt aus diesen Gelegenheiten selten Tieferes. Das Thema ist Verschwörungstheorie, und die wird als Phänomen in zweifacher Hinsicht ausgeleuchtet. Einmal deutet sich an, welche Art von Bedürfnis Verschwörungstheorie befriedigen kann. Zum andern macht das Geschehen luzide, wie Verschwörungsdenken technisch funktioniert. Von beiden Pfaden allerdings kommt der Film immer wieder und schließlich ganz ab.
Ein Zusammenhang zwischen Sams nicht eben von Erfolg gezeichnetem Leben und seinem Glauben an eine geheime Lenkung durch die Reichen & Schönen lässt sich leicht denken. Was wenn das ganze Chaos hier einen Sinn hat? Wenn die Erfolglosigkeit doch nicht Ergebnis des persönlichen Versagens ist? Aber zu dieser Haltung gehört die Ambition, mehr sein zu wollen als bloß ein jüngerer Jeff Lebowski, und davon wieder gibt Sam, der nicht sonderlich ehrgeizig scheint, in seinen unmittelbaren Handlungen wenig zu erkennen. Es ist daher kaum subtil, wenn er sich im Gespräch mit seinem namenlosen Freund (Topher Grace) selbst eine Diagnose erstellt, auf die er im Rest des Films, wo er tatsächlich glaubt, verfolgt zu werden, keinen Zugriff hat. Er wolle seinem Leben eine Bedeutung geben und habe sich immer gewünscht, dass da jemand sei, der sich für ihn interessiert. Der Wunsch, wichtiger zu sein, als man ist, nimmt hier Gestalt an – die eines geheimen Verfolgers, vor dem Sam verschiedene Male flüchtet. Auch dieser Zusammenhang, nebenbei, ist schon lustiger formuliert werden, vor Jahren in der BBC-Serie »Dirk Gently«: »In my experience, the people who believe they’re going to be murdered by the Pentagon, are invariably not the people who get murdered by the Pentagon.«
Zur anderen, der technischen Seite hin ist der Film etwas anschaulicher. Man sieht an Sams Verhalten, wie Verschwörungsdenken funktioniert: als willkürliche Verknüpfung von Äußerlichem, Umdeutung bloßer Dinge als Zeichen und nachträgliches Implantieren eines Sinns. Das Gehirn liebt das pure Durcheinander nicht, es sucht stets nach Mustern, an denen es sich orientieren kann. Der oft schwer zu ordnende Stoff der Erscheinungswelt stellt insbesondere bei schillernden Milieus wie Hollywood eine Provokation für dieses Hirn dar, das dort, wo anderseits der Wille zur Theorie nicht vorhanden ist und alles auf der Wer-wann-was-Ebene bleibt, unvermeidlich in die Verschwörungstheorie führt. Auch hierin aber sabotiert der Film sich selbst, indem Sams Verhalten zwar präzis gezeigt wird, die Handlung allerdings ein so blutarmes Ende präsentiert, dass man sich fragt, ob es das jetzt wirklich schon war. Gleichwohl ist die läppische Erklärung immer noch Erklärung genug, um das Wenige zu desavouieren, was den Film in gedanklicher Hinsicht interessant gemacht hatte. Die Frage nämlich, ob er die Geschichte einer großen Verschwörung oder die einer großen Psychose erzählt, konnte nicht nur etwas Spannung aufrechterhalten, sie gewährte die Möglichkeit, dass der Zuschauer im Kinosessel Sams Haltung am eigenen Leib nachvollzieht. So wie der versucht, in der chaotischen Umwelt des Sunset Boulevards Muster und Sinn zu erkennen, so wird der Zuschauer von den nicht minder chaotischen Ereignisreihen des Films genötigt, im chaotischen Geschehen auf der Leinwand nach Muster und Sinn zu suchen. Der Film scheitert, weil er am Ende weder den intellektuellen Triumph erreicht, die große Psychose freizulegen, noch den dramaturgischen, eine wirklich interessante Verschwörung aufgedeckt zu haben.
Wo der Sinn abhanden ist, beginnt die hohe Zeit der Bedeutung. Zeichen weist auf Zeichen, und am Ende weist alles auf gar nichts. Totalität findet nicht statt; vergeblich sucht man hier nach Weltanschauungen, Systemen des Denkens, sozialen Strukturen oder exemplarischen Formen des Verhaltens. Wer Hegelianer ärgern will, muss solche Geschichten schreiben.
Einen luftigen Moment lang, während des erwähnten Medleys, scheint der graue Dunst abzuziehen. Der »Songwriter« (Jeremy Bobb) deutet an, dass die Kulturindustrie jede Gegenbewegung gleich wieder in sich integriert und verwertbar macht. Was sich als Rebellion und Gegenkultur zum Betrieb missversteht, ist bloß dessen Fortschreibung. Doch die Szene geht rasch über diese Andeutungen hinweg und reicht nicht an das heran, was in Filmen wie »Privilege« (1967), »Network« (1976) oder auch »The Truman Show« (1998) geleistet wurde.
Dabei schafft der Film nicht, dramaturgisch auszugleichen, was ihm auf der Ideenebene fehlt. Das enorm langsame Erzähltempo und die bloß konsekutive Verknüpfung der Ereignisse besorgen, dass die ohnehin schon viel zu lange Spielzeit von 2:20h sich wie 4:40h anfühlt. Fabeln leben von der Verwobenheit ihrer Ereignisse. Motive, die man später noch braucht, werden früh etabliert, lose Ende aufgenommen und zusammengeführt, Bögen geschlossen, Übergänge, Abhängigkeiten, Episoden, Twists und Tempowechsel organisiert. Alles das tut »Under the Silver Lake« mit Vorsatz nicht. Es folgt bloß Szene auf Szene, bis das irgendwann, viel zu spät, ein Ende hat. So hat dieser Film, dessen visuelle Gestaltung überaus gelungen ist, in einem letzten Akt von Wahrheit sein eigenes Bild gefunden. Er – nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit, über die er das behauptet – ist ein großer Plüschhase, gefüllt mit Sägemehl.
»Under the Silver Lake«
USA 2018
Regie & Drehbuch: David Robert Mitchell
Darsteller: Andrew Garfield, Topher Grace, Riley Keough
Länge: 139 Minuten
Starttermin: 6. Dezember 2018
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in: ND v. 6. Dezember 2018.
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