Zum 15. Todestag erscheint die erste umfassende Biographie des Dichters Peter Hacks
Das Lieblingswort der Hacks-Forschung ist Desiderat. Vor 15 Jahren noch – 2003, als der Dichter eben gestorben war – fehlte so gut wie alles: ein organisierter Betrieb, kommentierte Editionen, etablierte Periodika, Bibliographien, Medien-Verzeichnisse, Sammelbände mit Detailstudien. Selbst an Monographien gab es, Peter Schützes instruktive Studie von 1976 ausgenommen, nichts von Bedeutung, und die Handvoll tatsächlich interessanter Aufsätze, in denen damals schon Arbeit am Begriff oder Analyse des Werks geleistet wurde, machten keinen Grund, auf dem man stehen konnte. Das sollte im Kopf behalten, wer nach der Bedeutung der Biographie fragt, die Ronald Weber jetzt zum 15. Todestag von Peter Hacks vorlegt. In diesen anderthalb Jahrzehnten sind die meisten der erwähnten Lücken geschlossen worden. Eine umfassende, detaillierte und lesbare Biographie war die letzte davon.
Es ist folgerichtig, dass Theorie und Werkdeutung der biographischen Forschung vorauseilen. Was einem Drama immanent ist, welchen gedanklichen Hintergrund es hat und wie es um seine ästhetischen Effekte, seine politischen oder philosophischen Ideen steht, lässt sich zur Not auch ohne ausgedehnte Archiv- und Bergungsarbeit herausfinden. Eine Biographie hingegen benötigt nicht bloß Arbeitszeit, sie braucht die Arbeit der Zeit, die reiche Grundlage, die ein Forscher nicht allein und erst recht nicht ad hoc leisten kann. Folglich vermag das biographische Werk kaum jemals mehr als eben anschaulicher zu machen, was theoretisch bereits erarbeitet wurde. Das wieder bedingt den Erfolg dieser Gattung. Wenn man sonst nichts liest, Lebensbeschreibungen liest man. Ronald Weber hat den Versuch unternommen, das eine zu wahren und das andere zu erreichen, den Versuch also einer Gedankenbiographie.
Es überrascht mit Rücksicht auf Webers bisherige Forschung nicht, dass die geleistete Quellenarbeit das Äußerste dessen zeigt, was beim gegenwärtigen Stand des Materials möglich war. Es wird weitere Funde geben, Zeugnisse, Dokumente. Es wird häufiger und tiefer im Nachlass gesucht und daraus editiert werden. Schwer vorstellbar hingegen ist, dass eine Biographie mehr Theorie und Deutung enthalten könnte. Länger als die hier dürfte sie ohnehin nicht sein, sie müsste sich andernfalls im Detail verlieren. Webers Biographie hat kaum Längen, sie liest sich vom Beginn weg zügig, und praktisch jede Seite treibt den Lesenden in tiefere Gedanken. Natürlich ist da auch Angreifbares. So etwa Ronald Webers Überlegungen zur Strategie Walter Ulbrichts im Umfeld des 11. ZK-Plenums 1965, die Wirtschafts- und Kulturpolitik einfach analog setzen statt als widersprüchliche Beziehung. So auch bei der Behandlung des Frühwerks, wo einige Elemente zu kurz kommen, die sich mit Blick auf Hacksens spätere Entwicklung (Romantikstreit, Attacken gegen das Regietheater z.B.) sinnvoll etablieren ließen. Das sind wenige Fälle auf 540 Seiten, und selbst dort noch, wo sich Einwände nötig machen, verhandelt Weber seine Fragen nie unter Traufhöhe. Natürlich ist ein Autor mit falschen Gedanken fruchtbarer zu lesen als einer ohne Gedanken, aber Ronald Weber bedarf dieses defensiven Lobs gar nicht.
Die Lesbarkeit liegt zum andern an der Sprache, die auf Verständlichkeit gerichtet, nicht zu trocken und manchmal eher schon zu feuilletonistisch ist. Die gelegentlichen Ballungen rhetorischer Fragen sind anstrengend, man muss das mögen, um es zu mögen. Dass die biographische Erzählung durchweg im historischen Präsens vermittelt wird, ist gleichfalls der Gewöhnung bedürftig, aber dahinter könnte der Gedanke stecken, dass das die angemessene Form der Darstellung eines Dramatikerlebens ist. Eben Geschichtliches so zu erzählen, dass es gegenwärtig und unmittelbar verkörpert erscheint, ist die Wirkweise des dramatischen Genres.
Auch in Bezug auf die Darstellungsform meidet Ronald Weber Allzuepisches. Natürlich muss er an der Zeit entlang erzählen und gliedert die Kapitel nach Perioden (Kindheit, Zeit in München, Brechtphase, sozialistische Klassik usw.), die zugleich durch inhaltliche Schnitte im künstlerischen Schaffen sowie im Denken definiert sind. Innerhalb der Abschnitte bricht Weber die Chronologie jedoch oft und erzählt Hacksens Leben in Loops, die bestimmte Komplexe in sich geschlossen abhandeln und dabei unauffällig die Abhandlungen der folgenden Komplexe vorbereiten. So entsteht eine Ring- oder Kettenkomposition, die neben der momentanen Bewegung zugleich eine übergreifende, nach vorn schreitende besorgt. Aufkommende Vor- und Rückgriffe sind nicht kollateral, sondern zweckgemäß, um Verständnis zu befördern. Das Verfahren insgesamt scheint dem Erfordernis einer Gedankenbiographie adäquat, worin ja der Akzent auf der inneren Entwicklung des Subjekts liegt und die handgreiflichen Vorgänge des beschriebenen Lebens eher Mittel zur Veranschaulichung dieser Entwicklung sind.
Es lassen sich, wenn ich richtig sehe, vier Stränge unterscheiden, die der Autor aufgreift, liegen lässt und wieder aufgreift, um innerhalb der Kapitel die relevanten Komplexe abzuhandeln: Milieu, Politik, Werke, Ideen. Im Grunde erzählt das Buch damit das Leben des Peter Hacks in vier Storylines, zwischen denen es geplant hin- und herspringt. Die Trennung ist sinnvoll, auch wenn die Abfolge nicht immer ganz glücklich ist. Im Abschnitt zum Beginn der sechziger Jahre etwa – jener Zeit, die als die wichtigste in der Entwicklung Hacksens gelten muss, weil er dort sein ästhetisches Credo gefunden und im Gefolge dessen auch allmählich seine Version des historischen Materialismus im Zusammenhang entwickelt hat –, werden die ästhetischen Ideen von Weber erst behandelt, nachdem ausgedehnt über Vorgänge des Ostberliner Milieus, kulturpolitische und sonstige Kollisionen in BRD und DDR sowie Hacksens dramatische Werke dieser Periode geschrieben wurde. Es kann schon sein, dass es keinen Anfang gibt, der nicht was setzt, das durch ihn erst erreicht werden soll. Dennoch ist hier die Entwicklung der ästhetischen Ideen primär, weil sich selbst das Sammeln antiker Möbel und die zwanghaft unpolitischen Salons, die Hacks in den sechziger Jahren veranstaltete, daraus erklären.
Der Biograph hätte schlechte Arbeit geleistet, wenn sein Werk sich in wenigen Worten fassen ließe. Gezeigt wird ein reiches Leben in 1000 Sentenzen und 100 Begebenheiten. Wenn man nach einem roten Faden respektive einer Art Story in den Stories sucht – etwas, das sich dieser Beschreibung des Lebens von Peter Hacks entnehmen und selbst in eine Erzählung verwanden ließe –, dann wäre es wohl die eines durch poetische Begabung weit aus seiner Zeit ragenden Menschen, der von allen politischen Lagern her – eingeschlossen dem, dem anzugehören er beschlossen hatte – Prügel bezog und sich davon aber in seiner grundsätzlichen Entscheidung für die Sache (und sein Lager) nie hat beeinflussen lassen. Den Akzent hierauf musste Ronald Weber gar nicht setzen, der Stoff (Hacks) und die Gattung (Biographie) haben ihm das abgenommen. Die täglichen Kämpfe, die einer zu führen hatte, interessieren in der Biographie eher als in der Analyse seiner Werke. Dass die weit darüber hinausreichen, ändert nichts daran, dass sie bis dorthin zurückreichen. Es macht nur die Arbeit deutlich, die in der poetischen Aufhebung von Lebenserfahrung liegt.
Ronald Weber
Peter Hacks. Leben und Werk
Berlin (Eulenspiegel Verlag) 2018
608 S., gebunden
ISBN 978-3-359-01371-6
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in: ND v. 28. August 2018.
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