Version 2016
»Jeder stirbt für sich allein« ist ein viel zu langer Roman von Hans Fallada. Die bisherigen Verfilmungen taten gut daran, die Fabel zu straffen. Die Widerstandsgeschichte wurde auserzählt, die Gefängnisgeschichte, also die zweite Hälfte des Romans, weggelassen. Ich habe die Verfilmung von 1976 nicht gesehen, aber die DEFA-Produktion von 1970. Das ist etwa 20 Jahre her. Jetzt habe ich die jüngste Verfilmung von 2016 besichtigt und fühle mich in allen wohlerworbenen Vorurteilen bestätigt.
Für die aktuelle Version sprechen die Hauptdarsteller. Brendan Gleeson hat das grobe Wesen des Otto Quangel und zugleich ein paar Zwischentöne, die Erwin Geschonneck nicht zu spielen vermochte. Ähnlich Emma Thompson im Verhältnis zu Elsa Grube-Deister. In den Nebenbesetzungen fällt die neue Adaption ab. Rainer Egger kann die verschrobene Spielweise von Fred Düren nicht erreichen, und die Figur des Borkhausen (oder Barkhausen) bleibt ziemlich nebensächlich. Am stärksten ist das Gefälle zwischen Daniel Brühl und Wolfgang Kieling, die jeweils den Kommissar Escherich verkörpern. Das liegt nicht an mangelnder Begabung Brühls. Ich halte ihn – und erwähne das, weils ja heute wohlfei & Mode ist, Brühl beschissen zu finden – für einen guten Schauspieler. Das Problem ruht nicht in seiner Interpretation, sondern in der Rolle selbst.
Der Escherich von 1970 ist ein narzisstischer Ermittler, der glaubt, in Zeiten finsterer Gesittung ein Glanzpunkt wenigstens in technischer, fachmännischer Hinsicht sein zu können. Bis er letztlich, wie jeder andere, an der Willkür der Gestapo scheitert. Die Geschichte des Escherich ist die Tragödie der instrumentellen Vernunft. Der Kommissar lebt ganz sein Handwerk und vermeint, sublimiert als reiner Kriminalist, seinen Platz in einem bestialischen System gefunden zu haben. Aber Kielings Escherich scheitert an dieser Grenze wirklich, er begeht einen Mord und rechtfertigt das vor sich selbst noch. In diesem Moment ist er das erbärmlichste Wesen auf dem Erdball. Brühls Escherich ist von Beginn an auf Menschlichkeit angelegt und auch der Mord ist hier bereits Ausdruck des Mitgefühls, er will dem Gesuchten weitere Qualen ersparen. Die Einsicht schließlich, die zum Suizid des Kommissars führt, ist bei Kieling regelrecht zwingend, während der neue Escherich als irgendwie immer schon Zweifelnder in einem letzten Akt zum Mitwiderständler wird. Hier scheint sich etwas zu verfestigen in der Rollenwahl Daniel Brühls. Auch in »The Zookeeper’s Wife« und »7 Days in Entebbe« gibt er dem Faschismus bzw. Antisemitismus ein menschliches Antlitz. Ich hoffe, er macht nicht weiter so.
Ziemlich getilgt wurden alle politischen Zusammenhänge. Kommunisten, die bei Fallada noch vorkommen, scheinen 2016 ganz aus dem Widerstand verschwunden zu sein, was dem bürgerlichen Zugriff auf das Phänomen entspricht. Wo der Faschismus ein im Grunde amorphes, übergreifendes Wesen ist, das im Zusammenhang der Totalitarismustheorie oder von Umberto Ecos konvenientem Begriff des Urfaschismus, mit jedem anderen als dämonisch empfundenen Wesen identifiziert werden kann, wo er also seiner historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen beraubt wird, damit die bürgerliche Gesellschaft das, was sie selbst hevorgebracht hat, von sich abstoße, ist es folgerichtig, dass nur die Arten von Widerstand gegen den Faschismus als legitim gelten, die selbst ungesellschaftlich, also bloß zivil sind. Doch nicht einmal diesem beschränkten Zugriff wird die neue Verfilmung gerecht, indem sie über die wichtigste Pointe des Romans leger hinwegspielt – dass nämlich Widerstand nie ganz vergeblich und selbst dann noch maßgeblich ist, wenn er nichts auszurichten scheint. Er richtet immer was aus, mindestens bei seinem ersten Adressaten, dem, der den Widerstand selbst übt.
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