Mit 90 kann man schon mal nach vorn blicken. Tatsächlich gibt es sowas wie ein politisches Testament von Peter Hacks. Damit meine ich nicht eine Auskunft darüber, wie zu leben sei, sondern die, wie es weitergehen muss. Hacks dürfte sie innerhalb seiner letzten drei Jahre geschrieben haben; sie trägt den Titel »Pieter Welschkraut«. Dieses kleine Märchen ist der schönere Zwilling des wuchtigen »Georg Nostradamus«. Es handelt von der Wiederkehr des Leninismus.
Pieter ist ein Findelkind, geht also nicht organisch aus dem Vorhandenen hervor. Eines Tages ist er einfach da, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Pieters Fremdheit ist die Voraussetzung, das Vorhandene nicht einfach hinzunehmen.
Er ist dick, kräftig und lernbegierig. Natürlich hat er ein rotes Gesicht. Er wächst schnell, nach fünf Tagen ist er ein Riese, und während andere Kinder vielleicht mal eine Klasse überspringen, überspringt Pieter gleich die ganze Schule. Er überholt also ohne einzuholen, was zugleich das Prinzip jeglicher Revolution ist: Ein Ereignis schlägt aus und greift die Regeln des Spiels selbst an, aber nicht irgendwo hin, sondern in Richtung des vorgeblichen Spielzwecks, in eine fortschrittliche.
Pieter ist zupackend. Eine Frau sucht er sich durch einen Trick, bei dem ihr keine Wahl bleibt. Schön für ihn, weniger für sie. Revolutionen sind nicht nur erfreulich, ihre Aneignung der Kultur läuft nie ohne Begleitschäden ab.
Dem Gärtner, bei dem Pieter aufwächst, geht die Ernte verloren. Das Schicksal meine es nicht gut mit ihm. Pieter beschließt, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Das Schicksal ist ein mickriger Mann, Pieter nimmt ihn in die Hand und wirft ihn in die Ecke des staubigen Amtszimmers.
»Ohne daß man ihn tritt, stürzt er nicht. Tritt man ihn, stürzt er.« Das will nicht sagen, dass immer alles möglich sei. Nur, dass das hier jetzt möglich ist. Dass es dennoch fortfährt, nicht zu geschehen, ist ein Rätsel für sich. Nicht mit der Säge, mit des Holzfällers verklemmten Trizeps haben wir uns zu beschäftigen. »Pieter Welschkraut« ist eine unverfrorene Anstiftung zum Optimismus.
—
in: junge Welt v. 21. März 2018.
Sorry, the comment form is closed at this time.