Jan 052018
 

Manchmal, wenn eine Sache so blöd ist, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, mache ich einen Witz. Das ist meine Art, mit den Augen zu rollen. Manchmal ist eine Sache so blöd, dass mir nichtmal ein Witz einfällt. In dem Manuskript, das ich gerade lektoriere, steht das Wort »Neger«. Das Protokoll von Word 2016 markiert vermeintliche Rechtschreibfehler mit rot gepunkteten Linien und vermeintliche Fehler der Grammatik mit durchgezogenen blauen. Hier unter besagtem Wort sehe ich zum ersten Mal eine braun gepunktete Linie und dürfte etwa ausgesehen haben wie Pete Sampras vorm Aufschlag, als ich das Wort mit der rechten Taste anclickte: »Neutrale Sprache« & »Sie sollten den Ausdruck ersetzen«.

Weitere Proben ergaben: »Weiber«, »Pfaffen« und »Kameltreiber« sind ebenfalls nicht okay. »Zigeuner«, »Untermensch«, »Mongo« und »Itzig« hingegen dürfen passieren. Ohne Beanstandung durchging »Krüppel«, »Behinderte« nicht. »Wessis« ist verboten, »Ossis« erlaubt.

Das Allgemeine, sagt Goethe, ist der besondere Fall. Es führt ja keine diskrete Existenz und liegt im jeweils Vorliegenden. Im Exemplarischen, und das Vorliegende ist hier sehr exemplarisch. Kapitalistische Wirklichkeit meldet sich mit Macht, wo Konzerne anstelle des Staates die Funktion politischer Bildung übernehmen. Da mit dieser Funktion eine Definitionsmacht verbunden ist und Konzern stets partikular, entsteht daraus bestenfalls Unsinn, wenn nicht gar gefährliches Zeug. Es steht Microsoft schlicht nicht zu, für andere die Entscheidung zu fällen, wann Sprache diskriminierend ist und wann nicht. Und das hätte auch Geltung, wenn der Katalog besser wäre.

Darüber hinaus fragt sich, wer der Adressat so einer Funktion sein soll. Diejenigen, die die beanstandeten Ausdrücke bloß benutzen, weil sie z.B. zitieren, d.h. gerade (vielleicht ja kritisch) über sie schreiben, brauchen den Hinweis nicht. Wer andererseits im Privaten etwas blödelt, in ironischer Verkehrsform, das Einverständnis auch der Hörer voraussetzend, benötigt ihn ebenfalls nicht, da er ja weiß, was er gerade tut. Alle andern wieder – sie mögen es aus Gründen der Provokation tun oder aus Überzeugung – wird die Funktion bloß enervieren. Oder sie wird der paranoiden Vorstellung einer umfassenden Sprachgängelei (als Schwundstufe der erträumt-befürchteten Weltverschwörung) zum weiteren Material geraten. Es muss ein schönes Gefühl sein, abends ins Bett zu gehen mit dem Wissen, die Welt heute etwas bessergemacht zu haben. Leider werden alle, die nicht Produktentwickler bei Microsoft sind, nie erfahren, wie sich das genau anfühlt.

Ich halte – Fälle veritabler Wahrnehmungsstörungen beiseite – für ausgeschlossen, irgendwer, gleich welchen Alters, könnte im 21. Jahrhundert leben und noch nicht mitbekommen haben, dass gewisse Gepflogenheiten im Sprachgebrauch heute durchgesetzt sind. Es gibt hier keine echte Ignoranz, kein echtes Unwissen, sondern bloß Verweigerung als Gewohnheit, Trägheit oder Trotz. Es ist eine Disposition, nicht bloß eine Meinung, denn was sich über Jahre gegen einen allgemeinen und von jedem spürbaren Trend festigt, kann einem nicht einfach unterlaufen. Wenn das aber der Fall ist, dann bringt auch der Hinweis auf die neutrale Sprache nichts. Wo es darüber hinaus ums Überzeugen gehen sollte, stellt sich die Frage der Form. Eine Punktlinie ist eine Ermahnung und kein Argument. Die Idee, dass jemand, der vor dem dauerhaften Druck einer gesellschaftlichen Norm gerade in ein trotziges Beharren geflüchtet ist, sich dann ausgerechnet von einer automatischen Rechtschreibkontrolle, also einer weiteren Form jener neuen Norm, zur Einsicht bringen lässt, wird man wohl auch nicht eben als lebensnah bezeichnen dürfen.

Sprache ist eine Verkehrsform unter vielen. Die Bemühung um Emanzipation und Gleichberechtigung läuft Gefahr, bei der Sprache stehenzubleiben, sich im Kampf um das richtige Sprechen zu verlieren. Das passiert nicht nur dort, wo Sprache als hauptsächliches Kampffeld verstanden wird, sondern auch dort bereits, wo man meint, man müsse bei ihr beginnen. Partizipien statt Partizipation. Gute 9 von 10 Gleichberechtigungsfighter kümmern sich darum, dass man nicht mehr »Behinderte« sagt, und 1 unter 10 interessiert sich dann weiterhin noch für die Änderung des Teilhabegesetzes oder die Durchsetzung der Barrierefreiheit. Während das soziale Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland längst akzeptiert und gerechtfertigt ist, und mehr noch den Ostdeutschen in der von Westlern dominierten Bewusstseinsindustrie zum Vorwurf gemacht wird, sorgt man sich sprachlicherseits um das zarte Gemüt des Westdeutschen, der gekränkt werden könnte, wenn man ihn, analog zum Ossi, einen Wessi nennt.

Es fällt auf, ein wie machtvoller Antrieb für höheren Blödsinn die Überschätzung der Sprache ist. – Sprache als metaphysische Größe, Sprache als mystische Macht, der Diskurs als einzig greifbare Gewalt in einer sonst unbegreiflichen Welt. Das scheint eine genuine Neurose der Neuzeit, die vielleicht bei Fichtes Reden an die Nation beginnt und bis zu Villeneuves »Arrival« reicht. Ich vermute, dass die Überschätzung von Macht und Bedeutung der Sprache besonders gern denen unterläuft, deren Zugriff auf sie nicht sonderlich machtvoll oder bedeutsam ist. Und dabei ist das Zusammentreffen der Überzeugung, dass Sprache alles regle, mit der Absicht, alles an der Sprache zu regeln, nur scheinbar widersinnig. Bereits im Glauben an die Macht der Sprache liegt eine Überhöhung des Menschlichen, der Versuch, das Subjekt als allmächtig gegen seine Umwelt zu installieren. Alles hängt in diesem Zugriff von seinem Urteil ab, ganze Realitäten werden gestiftet, gebeugt, vernichtet dadurch, dass Menschen sich auf bestimmte Ausdrucksweisen verständigen. Endlich ist der Handelnde den lästigen Rahmen los, in dem er handeln muss und den man, als es Mode noch war, Wirklichkeit nannte. Die Macht der Sprache meint die Macht des Menschen, und wo das gilt, ist folgerichtig, dass der Mensch Macht über die Wirklichkeit erlangt, indem er Macht über die Sprache anstrebt.

Hiervon macht auch das Gerede von der »neutralen Sprache« keine Ausnahme. Wer Sprache entschärfen will, tut das, um ein missliebiges Machtverhältnis zu seinen Gunsten zu ändern, oder aber in dem Glauben, dass Sprache ein schwer beherrschbares Machtinstrument sei. Schreibt man bei Word 2016 das Wort »Sekte«, erhält man dieselbe Ermahnung wie bei den eingangs erwähnten Ausdrücken. Auch das ist ungemein bezeichnend.

Natürlich ist der Ausdruck ›Sekte‹ nicht als solcher abwertend, weil er tatsächlich eine Gemeinschaft beschreibt, die sich in spiritueller Weise von der Welt abkapselt. Das ist der Unterschied zum allgemeineren Begriff der Religion, die ganze Gesellschaften auch durchdringen kann. Das Verhältnis Sekte–Gesellschaft ist begrifflich erfassbar, auch wenn die Grenzen in der Zuschreibung fließend sind. Dann, zweitens, fehlt für den Verzicht auf das Wort eine notwendige Voraussetzung, nämlich die, dass ein alternatives, unbedenkliches Wort für die Beschreibung derselben Sache zur Verfügung stünde. Drittens ist das Wort nicht als solches ein Problem, da nicht eine bestimmte Gruppe (und nur sie) damit bezeichnet wird. Es kann für alle möglichen Gruppen eingesetzt werden und ist daher etwa so diskriminierend wie das Wort »Idioten« und ca. 3.296 andere.

Es ging nie darum, eine neutrale Sprache zu schaffen. Das wäre ebenso sinnlos wie nicht realisierbar wie nicht wünschenswert. Sprache wertet, wo immer sie eingesetzt wird. Und die Möglichkeit zur Wertung ist einer ihrer Vorzüge. Worum es bloß gehen kann, das ist, auf Wörter zu verzichten, die eine ganz bestimmte Geschichte der Abwertung und Diskriminierung haben und daher kränkend sind für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, die – exklusiv nämlich – in diesen Wörtern an ihren unveräußerlichen Eigenschaften festgesetzt und abgewertet wird. Und es sollte sich, wie ich meine, um eine Gruppe handeln, die in einer Position der Schwäche oder Minderheit ist. Diese Übung ist kein Selbstzweck und dient nicht einer Schprachthymeley; sie soll beihelfen, ein lange bestehendes Missverhältnis ins Gleichgewicht zurückzubringen. Und das nun tatsächlich aus keinen anderen Grund als dem, dass die Betroffenen es sich erbeten haben, und dass es kaum mehr kostet als etwas Rücksicht. Wer demgegenüber sein Menschenrecht, »Neger« sagen zu dürfen, stärker gewichtet, dem ist nicht nur nicht zu helfen, er verzichtet damit zugleich darauf, von seinem Recht, kein Arschloch zu sein, Gebrauch zu machen.

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