»Meta Morfoss« & das Motiv der Metamophose in den Überlieferungen[i]
Der Name
Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das die Fähigkeit besitzt, seine Gestalt zu wechseln, von den Schwierigkeiten, die die Gesellschaft damit hat, sowie darüber, auf welche Weise beide, das Mädchen und alle anderen, damit leben können. Der Name des Mädchens ist derselbe wie der des Märchens: Meta Morfoss.
Es bedarf keiner besonderen Ausbildung, ihn zu entschlüsseln. Ebenso wenig täte hier ein fundierter Zugriff auf Ovids »Metamorphosen« Not. Abgesehen vom Titel selbst enthält die Erzählung, soweit ich sehe, keine spezifischen Anspielungen auf diesen antiken Katalog, zumal die Differenzen zwischen Meta und den Gestalten Ovids recht groß sind. Mitgedacht werden als Hintergrund kann das Werk gewiss, doch bloß insofern, als Metamorphose vom Mythos zum Logos und bis hin zur Moderne ein gegenwärtiges und außerordentlich variables Motiv ist.[ii] Offenbar tastet die Vorstellung von Verwandlung etwas an, das uns seit Jahrtausenden tiefmenschlich aufrührt. Der Wunsch, ein Anderer zu sein. Die Macht, das Leben zu ändern. Das Bedürfnis, sich der eigenen Vergangenheit und darin aufgeladenen Schuld zu entledigen. Die Lust, einmal die Sau rauszulassen. Das Streben, über den eigenen Standpunkt hinauszuwachsen. Die angstvoll elementare Erinnerung, dass kaum etwas von Dauer ist. Der begreifliche Impuls, das Eigene im Anderen wiederentdecken zu wollen, also menschliche Eigenschaften z.B. in Tiergestalten zu vergegenständlichen. Aus all dem musste, will man fast sagen, im poetischen Spiel der Gedanke von Verwandlung entstehen, in dem Lust und Angst zugleich verarbeitet werden.
Es ist nicht möglich, die Menge der überlieferten Metamorphosen in einem System zu klassifizieren, worin jeder konkrete Fall seinen eindeutigen Platz erhielte. Man kann indessen die schwer überschaubare, nachgerade amorphe Menge der Überlieferungen etwas ordnen, indem man (im aristotelischen Sinne des Wortes) Kategorien bemüht. Fragen nach Wann, Wie, Warum, Tun, Erleiden usw. ermöglichen Querschnitte und alsbald auch, Charakter und Stellung des Falls Meta genauer zu fassen. Zuerst aber will ich einen weiteren Schritt zurückgehen, noch hinter die literarische Überlieferung, denn die beginnt selten bei sich selbst.
Der Begriff der Metamorphose hat zugleich eine biologische Bedeutung, wobei zu vermuten steht, dass der biologische Terminus dem mythologischen Thema nachgebildet wurde. Es ist dennoch nicht raus, dass die Leser der »Meta« beim ersten Blick auf den Text sämtlich an die poetische Tradition denken und nicht erst einmal an die biologische Denotation. Die ist hier aus zwei Gründen interessant. Zum einen, weil die Metamorphose als Moment der Evolution für die Anpassung des Lebewesens an die Gegebenheiten der Umwelt sorgt, Meta mit ihren Verwandlungen jedoch (teils unabsichtlich, teils vorsätzlich) das genaue Gegenteil erreicht. Ihre Fähigkeit zur Anpassung macht, dass sie auffällt und als Fremdkörper in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Sie irritiert, stiftet Chaos. Die Metamorphose ist bei ihr ihrer natürlichen Funktion beraubt. Meta treiben Spiel und Freiheit, nicht Anpassung und Notwendigkeit.
Zum anderen ist Metamorphose biogenetisch ein Moment der Reife und des Wachstums, des Umschlags von Quantität in Qualität, was auf dem Feld der Kinderliteratur archaisch-konzis und wohl unübertrefflich in Eric Carles »Raupe Nimmersatt« veranschaulicht ist. Biologisch verbinden wir mit der Vorstellung einer Metamorphose nie regressive Prozesse oder solche des Zerfalls, obwohl das blank technisch keinen Unterschied zur Reifung oder Höherentwicklung machte. Der Weg hinauf, sagt Herakleitos, und der hinab sind ein und derselbe. Die Metamorphose ist vom Anfang weg positiv besetzt. Bemerkenswert nun ist, dass diese Tendenz sich in Mythos und Literatur ziemlich verkehrt. Dort ist Metamorphose in der großen Mehrheit der Fälle ein negatives, letales, regressives, wenigstens unerfreuliches Ereignis. Oder etwas zwischen Hybris und Hamartia, das Bestrafung heischt. Meta, als poetische Gestalt, bricht aus dem Rahmen, denn ihre Verwandlungen sind nicht bloß eigensinnig, sondern erkennbar von Vergnügen begleitet.
Wann?
Mir fallen sichere fünf Kategorien ein, nach denen Metamorphosen in Mythos und Literatur strukturiert werden können. Die erste wäre die Frage nach der Dauer. Es gibt zeitweilige Metamorphosen, endgültige und zyklische. Die ersten beiden ließen sich als einmalige zusammenfassen. Da Metamorphosen im Mythos oft der Bestrafung dienen, ist eine Rückverwandlung in den narrativen Mechanismen angelegt. Auch unabhängig von Strafe allerdings gilt, dass ein Zustand der Unordnung, die im Laufe einer Handlung hergestellt wurde, im weiteren Verlauf wieder in Ordnung gebracht werden muss. Zwerg Nase wäre ein Beispiel, Kalif Storch ein anderes, das Tier aus »Die Schöne und das Biest«, die Männer des Odysseus bei Kirke, Teiresias, der ein paar Jahre im Körper einer Frau leben muss, der Knabe im Märchen vom Machandelboom, die sechs Schwäne oder Zettel im »Sommernachtstraum«. Auch dort, wo der Strafcharakter vorderhand fehlt und Lust im Spiel scheint, wie bei Zettel und Kirke, besorgen Magie oder Fluch eine ähnliche Struktur.
Wo die Verwandlung dagegen endgültig ist, steht sie, als Strafe oder Katastrophe, fast zwingend am Ende der Handlung. Sie folgt dann aus dem Verhalten der Figur im Laufe der Erzählung und ist deren Moral und Konsequenz. Die Endgültigkeit der Verwandlung kann darin bestehen, dass das betroffene Wesen für immer verwandelt bleibt oder infolge der Verwandlungen einen (zumeist grausamen) Tod findet. Dieses Muster herrscht besonders in den ältesten Überlieferungen vor. Lots Weib, Atlas, Aktaion, Niobe, Prokne, Tereus, Marsyas, Arethusa – Im Mythos scheint die endgültige Metamorphose die Regel, und die zeitweilige die Ausnahme.
Seltener als beide ist die zyklische, also das Sich-immer-wieder-Verwandeln. Der Werwolf zählt hierzu, desgleichen Graf Dracula, Mr. Hyde oder der Hulk. Der Zyklus bzw. das Iterative der Verwandlung ist als Metapher besonders dann brauchbar, wenn man sich bei einer Figur weniger für den Charakter ihrer einzelnen Handlung interessiert als vielmehr für den Charakter der Figur selbst. Das erklärt das stärkere Vorkommen der zyklischen Metamorphose in moderneren Literaturen, wo das Subjekt und seine Tiefenstruktur zunehmend in den Mittelpunkt rückt. Die regelmäßige Verwandlung eines Subjekts steht für eine verdrängte, unterdrückte Seite, die nun, zumeist in der Nacht, als Hypostasierung in reiner Form, als abgeschlossene Gegenpersönlichkeit demnach ausbricht. Bei Meta, wie gesagt, schwindet der negative Charakter, doch sie gehört in die Gruppe der zyklischen Wandler. Allerdings sind ihre Wandlungen vielfältig; es tritt nicht eine unterdrückte Seite an ihr hervor, da sie sich ja in alles Mögliche verwandeln kann und will. Nicht das, worin sie sich verwandelt, macht ihr Wesen, sondern die Fähigkeit zur Wandlung selbst. Und eben die wird dann auch, wie noch zu sehen, zum eigentlichen Ärgernis an Meta.
Warum?
Die zweite Kategorie wurde schon angerissen; es ist die Frage nach dem Grund der jeweiligen Metamorphose. Verwandlungen können freiwillig sein oder Zufall oder Strafe. Unter die Zufälle rechnet auch der Unfall. Auf dieses Mittel greift besonders gern das Genre des Comics zu. Spiderman verwandelt sich, nachdem ihn eine Spinne gebissen hat, Electro überlebt einen Blitzschlag, Dr. Manhattan wird versehentlich starker Strahlung ausgesetzt, den Fantastic Four passiert dasselbe im Weltraum usw. Der Zufall ist in Comics deswegen nötig, weil sie oftmals davon handeln, dass ein Mensch eine zweite Chance bekommt. Er steckt bereits in Verhältnissen und Dispositionen, erhält durch die Veränderung Kräfte, die er nun entweder nutzt, die Welt zu bessern (Protagonist), oder dazu, Rache zu üben bzw. zurückliegender narzisstischer Kränkung Abhilfe zu schaffen (Antagonist). In diesem Zusammenhang kann nur der Zufall diese Möglichkeiten gewähren, denn andernfalls bedeutete das die Existenz einer übergeordneten Macht, die das, was der Held nun tun muss, selbst viel besser zu besorgen imstande wäre, oder das, was der Antagonist anrichtet, nicht verhindert, obwohl sie es könnte.
Dagegen dominiert im Mythos und den älteren Literaturen das Motiv der Verwandlung als Strafe oder Fluch. Die verwandelte Figur hat in irgendeiner Form Schuld auf sich geladen und wird bestraft, indem sie ein Leben in anderer Gestalt führen muss. Der Katalog hier scheint endlos. Im Mythos: Lykaon, Kallisto, Niobe, Teiresias, Midas, Atalante, Lots Weib, Wega und Altair u.v.m.; im Märchen: Iwan der Bär, der Froschkönig, die sieben Raben, Frau Holle usf.; auch in der klassischen und modernen Literatur gibt es Beispiele: Zwerg Nase, Dr. Griffin, der Panther im Paradies. Oft hat die Strafe Talionsgestalt, indem sie den Frevel charakteristisch reproduziert. Hauffs Jakob verspottet eine Hexe für ihr Aussehen und erhält dafür von ihr gleichfalls ein hässliches Äußeres. In H.G. Wellsʼ »Der Unsichtbare« verliert Dr. Griffin infolge eines Experiments die Sichtbarkeit. Er hatte das als zeitweilig geplant, und die Strafe für seine Anmaßung besteht darin, dass es nun endgültig ist. Im Märchen »Die sieben Raben« ist die Strafe verdoppelt. Die Söhne werden vom Vater bestraft, weil sie ihre Pflicht vernachlässigt haben; der Vater wird mit dem Verlust der Söhne bestraft, indem sein leichtfertig dahingefluchter Wunsch in Erfüllung geht. Das Märchen »Frau Holle« schafft eine interessante Dialektik, indem Strafe und Belohnung sich ähneln und ähnlich zustande kommen. Gold und Pech entsprechen, als Tauschwert für Fleiß und Faulheit, dem Verhalten der zwei Mädchen und sind zugleich unverlangte Auferlegungen, mit denen beide fortan werden leben müssen. In Martin Karaus »Der Panther im Paradies« nimmt das Raubtier äußere Ähnlichkeit mit seiner je letzten Beute an, bekommt z.B. einen langen Hals, nachdem es die Giraffe gefressen hat. Des Panthers Mahl wird zum Mal, sein Frevel sicht- und er damit überführbar. Das Paradies erhält hier, harmlos und mit ironischen Tönen, einen Anklang von Hölle.
Naturgemäß findet man Metamorphosen auch in der Hölle der »Göttlichen Komödie«. Wie kaum sonstwo lässt sich hier ein Eindruck gewinnen von der tiefverstörenden Wirkung, die die christliche Ideologie mit ihrer Schuld-, Sünden- und Strafstruktur auf die ihr allermeist bereits im Kindesalter ausgelieferten Subjekte haben muss, und die Verwandlungen bei Dante scheinen ebenfalls Talion bezeigen zu wollen. Im 13. Gesang des Inferno trifft der wandernde Dichter auf die Selbstmörder, die als Bäume ihr Dasein verbringen müssen, »denn niemandem gebührt, was er sich selbst nahm«.[iii] Im 20. Gesang gehen die Propheten mit verdrehten Köpfen, so dass sie immer bloß nach hinten, in die Vergangenheit, sehen können. Im 28. Gesang büßt der Prophet Mohammed gemeinsam mit anderen Stiftern von Zwietracht am eigenen Leib, indem er selbst immer wieder gespalten wird. Der Film »The Lobster« dagegen stellt eine Hölle auf Erden vor, die ein im Wortsinn paradiesisches Setting hat, einen Garten nämlich, dessen Ruhe und Harmonie alsbald gespenstisch wird. Dieser Garten ist kaum weniger als eine Vorhölle. In der dort vermittelten Gesellschaft wird ein umfassender Zwang zur Vermählung damit durchgesetzt, dass alle Menschen, die in einem bestimmten Alter immer noch Single sind, in ein Tier ihrer Wahl verwandelt werden müssen. Die Verwandlung dient in diesem (leider schlechter gemachten als erdachten) Film zur Strafe für Eigensinn und Hang zur Vereinzelung. Das übermäßige Inanspruchnehmen von Freiheit wird mit der Verbannung in die Natur bestraft – in jenes Reich also, das keine Freiheit kennt, weil es nicht einmal unfrei, sondern genauer: vorfrei ist.
Indessen kann ein Fluch auch ohne Strafcharakter handfest werden, indem der Betroffene keine Schuld auf sich geladen hat und dennoch verwandelt wird. Hierfür sind weniger Beispiele (der Bär in »Schneeweißchen und Rosenrot«, Gregor Samsa in Kafkas »Verwandlung«, der »Herr Martin« von Paul Maar), was erklärbar ist, da eine Handlung sich als Einheit und also vermittels kausaler Beziehungen herstellt. Ein grundloser Fluch, vor dem der Betroffene sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, befriedigt uns – Ursachentiere, die wir nach Lichtenberg sind – nicht in dem Maße wie eine Geschichte, in der eine bestimmte Wirkung aus einer bestimmten Handlung folgt.
Sowohl Strafe und Fluch als auch Unfall und Zufall haben gemein, dass die Verwandlung unfreiwillig passiert. Meta, um auch hier den Unterschied klarzumachen, wandelt sich aus freien Stücken, wenngleich sie einem Trieb folgt. Sie ist eine genuine Wandlerin, aber sie will ihrer Natur folgen, empfindet offenkundig keine Scham oder dergleichen. Ein möglicher Konflikt zwischen Selbstanspruch und Triebstruktur wurde von Hacks erkennbar aus dem Spiel gehalten. Es gibt keine Reue. Wo Metamorphose indes als Strafe auftritt, ist die ihr innewohnende Kraft schließlich doch beschnitten. Die Möglichkeit, sich durch Erfahrung zu bereichern, durch den Wechsel der Perspektiven am Ende sich selbst in seiner Stellung und zu überwindenden Borniertheit zu erkennen, ist in den Geschichten mit Strafverwandlungen gelegentlich umgesetzt, doch als Demut, die aus Demütigung folgt. Etwa bei Iwan, der ein Bär sein muss, oder Jakob, der zum Zwerg wird, oder bei Nils Holgersson, den ein Wichtel zum Wichtel verzaubert. Der Plot gerät dadurch zu plakativ, in seine Moral zu durchschaubar, um so mehr, wenn das Motiv vom Umfeld des Märchens gelöst und in modernere Stoffe verbracht ist, wie im auch sonst schwach erzählten Film »Switch«, worin der für seinen Chauvinismus gekillte Protagonist als Frau ins Leben zurückkehren muss und durch diese Erfahrung von seinem Mackertum geheilt wird. Am wenigsten noch, wie mir scheint, leidet unter diesem Problem Hauffs Jakob, der ja als Zwerg nicht allein Demut lernt, sondern eine herausragende Fähigkeit als Koch erwirbt, was bedeutet, dass seine Charakterbildung nicht bloß destruktiv vermittelt ist. Trotzdem sie Bestrafung ist, ruht hier in der Verwandlung die erwähnte zweite Chance, eine moralische gewiss, doch auch eine in höherer Fertigkeit, womit der Held weniger gestutzt als vielmehr in den Stand gesetzt wird, sich selbst zum Besseren zu bilden.
Denkbar ist auch eine ambivalente Variante, bei der die Strafe nicht moralisch eindeutig ist. In Mo Yans »Der Überdruss« zeigt sich Metamorphose als Wechsel der Perspektive und als Strafe, für Selbstgerechtigkeit des Protagonisten nämlich. Doch Ximen Nao bleibt durch die Wandlungen hindurch innerlich derselbe. So gerät die Geschichte gleichsam zur Parabel gegen die wahnhafte Illusion des maoistischen Unterfangens, einen neuen Menschen, mittels Erniedrigung und Terror zudem, generieren zu können. Meta dagegen, deren Natur der Perspektivwechsel immer schon ist, hat die Fähigkeit, im Fall der Verwandlung über ihren eigenen Stand des Bewusstseins hinauszuwachsen. Sie ist eine genuine Wandlerin, ihre Fähigkeit fällt ihr nicht zu und wird ihr nicht auferlegt. Damit leidet sie weder Ambivalenz noch Demütigung noch irgendeine Laune des Schicksals. Sie ist, wie sie ist, und es ist fast gleich, warum sie so ist. Sie interessiert als Handelnde, und die Welt hauptsächlich, insofern sie auf Metas Handlungen reagiert.
Wer wen?
Die dritte Kategorie macht demnach die Frage nach dem Genus verbi aus: Ist die Verwandlung aktiv oder passiv? Ein Sichverwandeln oder ein Verwandeltwerden? Ist sie gewollt oder ungewollt? Beides geht nicht ganz ineinander auf – weder das Aktive im Gewollten noch das Passive im Ungewollten –, aber es korrespondiert in der Regel. Es hat erzählerisch auch wenig Sinn, einer Figur eine Verwandlung zustoßen zu lassen, unter der sie dann nicht in irgendeiner Weise leidet. Umgekehrt ist schwer gestaltbar, dass eine Figur die Fähigkeit zur Wandlung aktiv nutzt, ohne dass sie einen Willen dazu hat.
Die erdrückende Mehrheit derjenigen Wandlungen, die sich in der Literatur oder im Mythos an Menschen vollziehen, ist sowohl unfreiwillig als auch passiv. Es scheint auch nicht anders möglich, wenn man, wie geschehen, berücksichtigt, dass die beliebtesten Motive für Verwandlung Zufall und Strafe sind. Die Verwandlung passiert den Figuren und ist keine Handlung, und was ihnen bleibt – abgesehen davon, ein Gegenmittel zu finden –, das ist, in diesem nachteilhaften Zustand einen kleinen Vorteil zu entdecken, in eine Lage, heißt das, an der sich vorerst nichts ändern lässt, verhalten zu resignieren.
Eine Ausnahme sind hier die zyklischen Verwandlungen. Sie beruhen zwar in den meisten Fällen nicht auf Entscheidungen, drücken jedoch das Innere der betreffenden Figuren aus. Im Fall der Werwölfe etwa treffen Aktivität und Unfreiwilligkeit zusammen. Die Betroffenen fallen in ihren Zustand, gegen den sie keine Wahl haben, aber sie landen dort aus sich selbst heraus. Souveräner im Vergleich dazu sind, als iterative Wandler, die Animagus-Figuren der Harry-Potter-Romane (Sirius Black, Minerva McGonagall, Peter Pettigrew) oder Miss Peregrine aus »Die Insel der besonderen Kinder«. Sie tragen das Tier, in das sie sich verwandeln, in sich, doch entscheiden sie Ort und Dauer der Verwandlung, auch wenn ihre Kunst der Metamorphose, wie bei den zyklischen Wandlern üblich, auf eine Gestalt beschränkt bleibt. Der Hase aus Schwittersʼ »Geschichte vom Hasen« verwandelt sich dagegen variabel und nach freiem Willen. Er gleicht Meta somit sehr, nur dass die Wandlung bei ihm aus Unzufriedenheit rührt und nicht, wie bei ihr, Spielcharakter hat, ihren Zweck, heißt das, in sich trägt.
Der Popanz aus Tiecks »Gestiefeltem Kater« verwandelt sich ebenfalls vorsätzlich und freiwillig; ihm wird diese Fähigkeit am Ende sogar zum Verhängnis. Die Sage vom Kachi-kachi Yama, in der Tanuki für die grausame Nutzung seiner Gestaltwandlung von einem schlauen Hasen erst gefoltert und dann durch Unterlassung getötet wird, wäre ein ähnliches Beispiel. Ebenso Dr. Griffin aus »Der Unsichtbare«. Er nutzt die Macht der Unsichtbarkeit, die er aktiv erzeugt hat, für Verbrechen und wird darum umgebracht. Die Metamorphose ist hier nicht die ausgeführte Strafe, sondern ruft im Gegenteil die Strafe erst hervor. Wo Verwandlung aktiv und zur Fähigkeit wird, kann sie selbst keine Strafe mehr sein. So kommt in verblüffend vielen Erzählungen die Strafe, die am Anfang fehlt, am Ende zurück ins Spiel. Man könnte fast meinen, das Bedürfnis zu bestrafen sei unüberwindbar. Freie Aktivität und souveräne Handlung scheinen – neben Bewunderung und Identifikation – gleichermaßen Neid und Angst zu erregen, mithin eine Provokation zu sein gegen das volkstümliche Gemüt, das sich in den kollektiven Genres (Mythen und Märchen) und als Rudiment auch in der modernen Literatur ausdrückt. Hybris, das ist die Rache des kleinen Mannes in poetischer Gestalt. Die Häme gegen den gesellschaftlichen Mächtigen – sei er Magier, Held oder Wissenschaftler –, sich selbst von anderen abgehoben, sich herausgenommen zu haben, was andern nicht zukommt, ihm also auch nicht zustehen soll. Die moralische Deckelung des herausragend befähigten Einzelnen führt zu einer Dramaturgie, die Schuld ganz einseitig verteilt und allein die eine Figur – ihr Inneres, ihre Selbstüberhebung – zum Problem macht und unterhalb jener Höhe bleibt, auf der das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft (oder Genie und Gesellschaft) als gesellschaftliches gezeigt werden kann.
Eigenartigerweise fällt mir hier Dorian Gray ein. Als Sonderfall einer negativen Metamorphose, die seine wirkliche, natürliche Änderung, das Altern, im Spiegelbild festhält, damit sein Körper nicht altert, ist auch hier die Metamorphose selbst der Frevel, der schließlich bestraft wird. Vom Nichtaltern Dorians kommt man leicht einen Schritt weiter auf den Prozess der Verjüngung. Zu Goethes Faust, wo sich der Vorgang einfach durch die Einnahme eines Mittels identifizieren lässt, und noch zum »Seltsamen Fall des Benjamin Button«, wo die Verjüngung permanent und nicht erklärbar ist. Hier fehlt nun jegliche Strafstruktur, und die Sache ist eher sonderbar wie bei Gregor Samsa. Doch Fitzgerald scheint mehr bereitzuhalten als die immergleiche Aporie, die Kafka mit jedem seiner Werke bloß in einen weiteren Einfall gekleidet hat. Buttons permanente Verjüngung ist ebenso sehr Metamorphose wie das ihm entgegensetzte Altern. Nur dass wir das Altern, weil es jedem Menschen passiert, nicht mehr als Metamorphose wahrnehmen. Daher taugt die Verjüngung zur Metapher. Sie ergibt in dem Moment Sinn, worin man nicht über die Wirklichkeit eines Menschen, sondern über seine Möglichkeit nachdenkt. Der als Greis geborene Button hat am Anfang seines Lebens den ganzen Reichtum desselben noch vor sich. Dieser Reichtum der noch vorhandenen Möglichkeiten ist in ihm verkörperlicht, und mit jedem Jahr, jedem Tag, jeder Stunde verzehrt er die ihm zur Verfügung stehende Lebenszeit. Jeder weitere wirkliche Tag mehr ist ein weiterer möglicher Tag weniger. Leben als Verbrauch von Zeit, darauf scheint diese Geschichte hinauszuwollen. Die geistige Höhe Benjamin Buttons entspricht, als tatsächlicher Status, zu jedem Zeitpunkt der Geschichte dem noch zu erringenden. Am Ende findet der Greis Gefallen an den Beschäftigungen im Kindergarten, schließlich verliert er alle Erinnerung und weiß, wie ein Säugling, nur noch zu schreien. Benjamin Button ist die Rekonstruktion einer Persönlichkeit von ihrem Ende her, von dort, wo sich ihre Möglichkeiten bereits realisiert haben, nach dort, wo sie noch offen sind. Das berührt fast unmerklich eines der Leitthemen von »Meta«, deren Fähigkeit zur Verwandlung im Zusammenhang ihrer Infantilität als Festhalten jenes Reichtums interpretiert werden kann, der in der Jugend noch vor einem liegt. Allerdings ist dieser Reichtum tatsächlich nicht linear. Jegliche Möglichkeit ist plural; das noch Offene geht nur als Vielzahl von Möglichkeiten zu denken, weil es andernfalls schon Notwendigkeit, also feststehend wäre, und diese zahlreichen Möglichkeiten können im fortlaufenden Alter unmöglich alle zugleich realisiert werden. Spätestens hier stößt die Button-Metapher an ihre Grenzen und zeigt sich, dass in Metas Neigung zur Verwandlung bei aller Aktivität und Souveränität des freien Willens ein regressives Moment liegt, das die Entwicklung zu einer bestimmten Persönlichkeit mit gefestigten Eigenschaften umzukehren sucht.
Meta, halten wir fest, bekommt auch durch diese Grenz- und Einzelfälle wenig Gesellschaft, soweit es – menschliche Figuren betrifft. Aktive Wandler nämlich sind selbstverständlich die Götter. So geschieht z.B. die Verwandlung des nach Ithaka zurückkehrenden Odysseus in einen Bettler durch die Kraft der ihm verbündeten Athene. Odysseus ist da nicht aktiver als irgendeine der zahlreichen Gestalten, denen Verwandlung zustößt. Souveränes Handeln besorgen am besten die Götter selbst. Zeus kleidet sich in Amphitryon ein, um dessen Frau Alkmene zu verführen.[iv] Gott macht Ringkampf mit Jakob, und kann ihn, solange er in menschlicher Gestalt ist, nicht besiegen. Götter vollbringen durch oder als Menschen Taten, die für sie gering, für die Menschen aber groß sind. Der zu menschlichen Taten herunterkommende Gott lässt sich als Inversion des menschlichen Anspruchs verstehen, mehr als menschliche, große Taten zu vollbringen. Also über sich hinauszuwachsen. Das Hinauswachsen übers Menschliche gehört von jeher zum Menschlichen, und jeglicher Gott, gleich wo – im Mythos, in der Religion, in der Poesie, auf dem Theater oder im Kino –, verkörpert diese ideale Seite des Humanen, die in Platons »Phaidros« als das zweite Ross am Wagen erscheint.
Götter wandeln sich freiwillig, aktiv und in alle beliebigen Formen. Der Unterschied zu Meta ist hier bloß, dass Wandeln nicht unbedingt die Natur der Götter ist. Sie müssen es nicht tun; sie können es einfach, weil sie alles können. Und anders als für Meta bedeutet die Wandlung für sie immer, sich in eine geringere, weniger starke, weniger bewusste, weniger grandiose Form hinabzubequemen. Meta kann hingegen in ihren Verwandlungen Grandiosität erlangen. Daraus ergibt sich ein irritierend schöner Gedanke: Wäre nicht eigentlich dies eine sinnvolle Ableitung, daraus zu ziehen, dass Meta unter die Menschen wie der Bär auf den Försterball geht: als einer von ihnen und zugleich mehr? Ist Meta sowas wie eine Göttin? Mit Rücksicht auf die Verknüpfung des Genie-Komplexes mit dem Gott-Sujet bei Hacks[v] scheint das so abwegig nicht. Doch fassen wirs präziser: Meta ist das, was einer Göttin am ehesten gleichkommt in einer poetisch hergestellten Welt, deren Schöpfer für angezeigt hielt, keine Götter in ihr vorkommen zu lassen. Sie ähnelt daher Mystique aus den X-Men-Comics oder Lautréamonts Maldoror, zwei sehr aktiven Gestaltwandlern, mit dem Unterschied, dass Meta keine negative (bösartige oder unheilbar gekränkte) Persönlichkeit spazieren führt. Mehr noch erinnert sie damit an die Einsamkeit Odos, jenes Konstablers aus »Deep Space Nine«, der künstlerisch gelungensten, tiefsinnigsten und besterzählten Serie aus dem Star-Trek-Franchise. Odo lebt als genuiner Formwandler, der Dauer, Gestalt und Intensität seiner Verwandlungen aktiv bestimmt, unter Menschen und anderen ›Solids‹, was sämtliche Wesen meint, die sich nicht verwandeln können, und weit entfernt von seinem Volk, den sogenannten Gründern. Die haben nach Jahrhunderten der Verfolgung und Ausgrenzung in ihrem Abschnitt der Galaxie ein rigides Imperium errichtet, worin sie nun wie Götter verehrt werden. Die Zuschreibung scheint nachgerade äquivalent: Wer göttlich ist, muss souveräne Wandlungen können, wer souveräne Wandlungen kann, gerät unweigerlich in die Rolle oder den Verdacht des Göttlichen, weshalb man ihn verfolgt, wo man kann, und verehrt, wo man es nicht mehr kann.
Wie weit?
Die vierte Kategorie wäre die Frage nach der Intensität der Verwandlung. Ist sie, heißt das, bloß äußerlich oder auch innerlich. Begriffsgeschichtlich ist eine Metamorphose die Veränderung der äußerlichen Gestalt. Sie kann von einer innerlichen Wandlung (Disposition, Sentiment, Erkenntnishöhe, Fähigkeiten) begleitet sein, muss das aber nicht. Die Literatur kennt beide Typen, den Sichwandelnden, der mit dem Äußeren auch sein Inneres mitverwandelt, und den unfreiwillig Verwandelten, der im Innern bleibt, wie er ist. Dr. Jekyll wird als Mr. Hyde auch innerlich zum Tier, der Froschkönig, der zwar nicht darüber reden darf, bleibt gleichwohl im Innern der er ist. Wo die Wandlung bloß das Äußere betrifft, ist sie zumeist entschieden negativ. Dass das Bewusstsein gewahrt bleibt, verschärft die Strafe. Wie Homer es bei der Verwandlung der Seefahrer durch Kirke beschreibt: »Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber, / Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals. / Weinend ließen sie sich einsperren […]«.[vi]
Allerdings bliebe bezüglich der ausschließlich äußerlichen Verwandlung einzuwenden, dass es beim Motiv der Metamorphose häufig um einen Reifeprozess geht. Iwan wird durch seine bloß äußerliche Verwandlung in einen Bären am Ende auch ein anderer Iwan. Die Metamorphose macht also entweder im Inneren was mit dem Helden, oder sie macht es nicht, doch dann tut es die Erfahrung, die er dadurch sammelt. Sie ist demnach vermittelt oder unmittelbar eine Metapher für den Reifevorgang des Menschen. Wir werden an einer Stelle der Erzählung sehr deutlich sehen, dass Meta nicht bloß die Form der Dinge annimmt, in die sie sich verwandelt, sondern ihnen auch tatsächlich im Inneren gleichkommt.
Gleichwohl sollte die bloße Kostümierung nicht ausgeklammert werden. Sei es die Landstörzerin Courasche, sei es Zorro, Shui-Ta, Max aus den »Wilden Kerlen«, Batman oder seien es die Surrogates – erstaunlicherweise taugt die Maskerade mitunter ebenso zur Metapher wie die magischen Formen der Metamorphose, die einen veritablen Wandel bedeuten. Max spielt bloß das wilde Tier in seinem Wolfskostüm, doch sein Verhalten holt die infantile Wildheit, den eigentümlichen Zusammenhang zwischen Liebe und Vernichtung darin, aus seinem Innern hervor.[vii] Shui-Ta konterkariert Shen-Te als notwendige Unmenschlichkeit beim Versuch, das richtige Leben im Falschen zu führen, während Batman umgekehrt Bruce Wayne als das Richtige im Falschen konterkariert, indem nicht Barmherzigkeit, sondern Kampf die Antwort auf das Elend ist. In »Surrogates« dagegen haben sich die Menschen daran gewöhnt, nur noch vermittels ferngesteuerter, aufgehübscht-verjüngter und extrem leistungsfähiger Roboter das Haus zu verlassen. Die Entfremdung des Einzelnen in der modernen Industriegesellschaft, die hier auch in den Bereich der unmittelbaren Privatbeschäftigungen (bis hin zum Geschlechtsverkehr) vordringt, erhält in den Surrogates eine Metapher.
Interessant ist die Frage, ob eine mechanische Veränderung einem Grad hinzugetrieben werden kann, in dem sie Auswirkungen auf das Innerliche hat. Die Surrogates verändern zweifellos das Selbstverständnis derjenigen Menschen, denen sie dienen, da sie anstelle dieser Menschen in das Leben gehen. Der äußerlichen Veränderung durch die Erscheinung der Surrogates folgt damit die innere der Menschen, die sich durch Nutzung der Hüllen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen. In dieselbe Richtung schlagen praktisch alle Erzählungen und Filme, die das Cyborg-Thema führen. Der bekannteste Fall ist der RoboCop, aber auch Detective Spooner aus »I, Robot« zeigt das schon erwähnte Schema der zweiten Chance, wonach ein Unfall zur Gelegenheit der Aufbesserung und die Aufbesserung zur Gelegenheit der großen Tat (oder Wiedergutmachung) wird. Motoko Kusanagi, die Protagonistin aus »Ghost in the Shell«, erleidet ebenfalls einen Unfall – irgendwelchen Apokryphen Masamune Shirows lässt sich entnehmen, dass sie aus dem Leib ihrer gestorbenen Mutter gerettet wurde –, und bei ihr wurde der Vorgang weitergetrieben als sonstwo, indem fast kein Körperteil mehr an ihr ist, der noch ursprünglich wäre. Allein ihre Seele (ihr Ghost) schafft ihr noch Identität. Die Frage, die damit aufgeworfen wird, ist keine andere als die cartesianische der zwei Materien: Stoff (Ausdehnung) und Form (Geist). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, doch wie viele meiner Teile können ausgetauscht (verwandelt) werden, ehe ich aufhöre, ich selbst zu sein?
Was?
Die fünfte Kategorie endlich wäre die Frage nach der Qualität – der Gestalt, in die verwandelt wird. Hierbei sollten zunächst Verwandlungen von Menschen in etwas anderes von solchen Verwandlungen unterschieden werden, bei denen Menschen Menschen bleiben. Einiges hierzu wurde schon in anderen Zusammenhängen erwähnt, etwa das Nicht-Altern (Dorian Gray) oder das Verjüngen (Faust, Benjamin Button). Zu berücksichtigen wäre auch die Änderung der Körpergröße, verarbeitet, mit schwankendem Erfolg, in Filmen wie »Die phantastische Reise«, »Angriff der 20-Meter-Frau« und »Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft«. Man tut gut, hier zum Archetypus zurückzukehren. Alle Geschichten, die vom Aufhalten oder Umkehren des Alterungsprozesses sowie vom Verändern der Körpergröße handeln, haben auf die eine oder andere Weise mit der Veränderung herkömmlicher Machtverhältnisse zu tun. Selbst die Verkleinerung setzt die betroffene Figur in die Möglichkeit, Dinge zu tun, die ihr vorher verwehrt blieben. Um ins Wunderland zu gelangen, muss Alice einen Trank zu sich nehmen, der sie schrumpfen lässt. Der Eintritt ist hier phantastischer Natur, die Macht diejenige der kindlichen Phantasie. Es scheint also ganz logisch, dass Alice zunächst kleiner (infantil) werden muss, ehe sie im Phantastischen (dem Wunderland) groß (mächtig) werden kann. Die poetische Kraft wirkt im Bereich der Poesie. In der Phantasie übersteigt das Subjekt die eigene Macht, doch zum Preis des Verzichts auf reale Macht, insofern Phantasie bloß gedanklich bleibt.
Bei den Verwandlungen des Menschen in Nicht-Menschliches sollte man die in Tiergestalten von der in Naturelemente unterscheiden. Eingestanden sind auch Tiere Teil der Natur, aber ich meine, dass die Verwandlung in Stein, Gewässer, Pflanzen oder Himmelskörper, also von Figuren wie Niobe, Callisto, Marsyas, Philemon und Baukis, Narziss, Egeria, Lots Weib, Wega und Altair wie auch Hacksens Linde im gleichnamigen Märchen[viii], eine andere Funktion hat als die Verwandlung in Tiergestalten, wie sie neben unzähligen Figuren des Mythos auch dem Sohn im Märchen vom Machandelboom oder Gregor Samsa passiert. Tiergestalten tragen den Charakter der Tiere, denen sie gleichen, oder sie werden für niedere Handlungen mit niederem Dasein bestraft. Der König Tereus soll im Wiedehopf als einer niederen Vogelart seinen eigentlichen, vom königlichen Status verdeckten Charakter veranschaulichen. Gregor Samsa vergegenständlicht in der Gestalt eines Käfers sowohl sein von Minderwertigkeit geprägtes Selbstgefühl als auch seinen gesellschaftlichen Status als Außenseiter. In Rushdies »Satanischen Versen« nimmt Saladin Chamcha, der seine Ursprünge als Migrant lange verdrängt hat, die Gestalt eines Ziegenbocks an, was ihn in der Gesellschaft von London zum Paria macht. Der Verräter Peter Pettigrew lebt jahrelang als Ratte, unerkannt unter denen, die er verraten hat.
Das Verwandeln in Stein, Wasser und dergleichen scheint dagegen mehr ein Aufgehen des Menschen in der Natur bzw. ein Eingehen in dieselbe, eine Regression, ein Wieder-Organisch-Werden mit dem zu bedeuten, wovon er sich einmal entfremdet hat. Das ist oft verbunden mit tragischen Vorgängen, aber nicht zwingend. Philemon und Baukis z.B. werden von Zeus aus Dankbarkeit für gute Taten in Bäume verwandelt, damit sie ewig zusammenbleiben können. Das regressive Wiedereingehen in die Natur ist ja zugleich eine uralte in uns nie ganz zu tilgende Sehnsucht nach Reiz- und Objektlosigkeit. Dass es überhaupt auch als negativ empfunden werden kann, dürfte daran liegen, dass eine Rückkehr in einen wie immer pränatalen Zustand stets etwas Letales enthält und die Angst vor dem Tod selbst dann nie ganz schwindet, wenn einer an jenseitige Existenz glaubt.
Auch in dieser Hinsicht ist Metas Stellung anders. Ihre Metamorphose kann, wenngleich in ihr ein sacht regressives Moment liegt, nicht als negativ verstanden werden oder gar als Ausdruck eines angenommenen Todestriebs. Sie steht fast singulär, weil auffällt, dass Metamorphosen in Mythos und Literatur praktisch immer natürliche Gestalten zum Ergebnis haben. Eine weitere Ausnahme, die mir hier einfällt, wäre Robert Rolf aus Dietmar Daths »Für immer in Honig«. Er wird mittels obskurer Griffe ins Leben zurückgeholt, und gemäß seines Status als W – eine besondere Art Mensch, die die Werkzeuge des Handelns und Denkens nicht bloß nutzt, sondern regelrecht zu ihnen wird – in Form von Papier. So tut Rolf nach seiner Wiedererweckung auch nicht mehr viel anderes denn Chronik zu führen, und nachdem er schließlich ein zweites Mal stirbt, bleibt ein papiernes Bündel von Fetzen zurück, von dem der Leser in einer beiläufig-überraschend-direkten Anrede erfährt, dass aus diesen »Papierfragmente[n] dessen, was einst Robert Rolf gewesen war«, später »das Buch werden sollte, das du hier gerade liest«.[ix] Wie auch Meta vermag, so wird Robert Rolf zum Artefakt, und nicht weniger als zu dem Buch selbst, in dem er vorkommt. Dieses Gedankenspiel wird uns in »Meta Morfoss« gleichfalls noch begegnen.
Was es bedeutet, dass Meta sich auch in Lokomotiven oder Wärmflaschen oder Bücher verwandelt? Nun, tatsächlich nicht weniger, wie ich meine, als ein Produktivmachen der Metamorphose für das Thema der Utopie. Wo Verwandlung bloß im Natürlichen bleibt, ist sie nach hinten gerichtet. Erst, wo sie Artefakte mit einschließt, wird sie universell und zeigt sich fähig, auch in die Zukunft zu wirken. Das Tier im Menschen steht für eine seiner Triebseiten, Gegenstände der Kunst stehen für das Vermögen des Menschen. Wobei bemerkt sei, dass die Dystopie, die die Utopie stets begleitet, auch in diesem Fall ihre Schatten auswirft. In Form des schon erwähnten Cyborg-Themas nämlich, das das Potential des Menschlichen zum Künstlichen hin – und möglicherweise nicht genrebedingt, sondern als Eigenheit der Kulturindustrie – fast immer angstvoll und oftmals gegen-fortschrittlich umdeutet. Auch hier ließe sich noch einmal »Für immer in Honig« als bemerkenswerte Ausnahme anführen, wo die dort sogenannten Zombotiker eine morbide Art Cyborgs zu sein scheinen, eine Möglichkeit, Menschen vermittels Technik aus dem Tod zurückzuholen, in ein Leben allerdings, das kaum noch Züge dessen trägt, was uns das Leben zum Vergnügen machen kann. Wie das gesamte Buch mit seiner zunächst unmerklich anwachsenden Macht der Untoten stehen auch die Zombotiker als Metapher für die imperialistische Epoche, die auf hohem Niveau der Produktivkräfte in sich bereits leer und letal geworden ist. So deutet Dath das Artefakt nicht ins Negative um, sondern beschreibt eine verkehrte Welt, in der es ohne Richtung ist, hinter der sich aber für den kommunistischen Autor bereits eine utopische Perspektive wieder abzeichnet.
Übrigens ist das interne Verhältnis bei den Verwandlungen in Künstliches dem der natürlichen Gegenstände analog. So wie der Mensch sich in etwas Konkretnatürliches verwandeln oder aber organisch in der Natur aufgehen kann, so machen sich auch neben dem Cyborg-Thema einige Griffe bemerkbar, die das Aufgehen des Menschen in einem universellen, ozeanischen, doch eben technischen Zusammenhang behandeln. Allerdings scheinen mir Filme wie »Matrix«, »Transcendence« oder »Lucy« nicht sonderlich gelungen, was vielleicht daran liegt, dass das Organische und das Künstliche nicht miteinander können und der Versuch, es in einer Handlung zu verbinden, notgedrungen mit einem allzumeist schlecht durchdachten Neomystizismus einhergeht.
Metamorphose der Metamorphose
Meta, um das hier Ausgebreitete also zusammenzufassen, ist im großen Stamme der Wandler besonders dadurch, dass Verwandeln ihr nicht wiederfährt, sondern ihre Natur ist, dass sie ihre Verwandlungen souverän und freiwillig vollzieht, dass sie wählen kann, worin sie sich verwandelt, dass sie sich auch in Künstliches verwandelt und der gesamte Zusammenhang damit positiv besetzt ist, kein Moment der Anpassung und Entwicklung zwar, wie im Biologischen, aber doch weder Strafe noch Regression, sondern Spiel und Freiheit, sowie schöpferisch, indem sie in der Verwandlung tatsächlich wird, worin sie sich verwandelt.
Von den Anfängen bis zur modernen Literatur lässt sich eine Entwicklung besehen, eine Metamorphose der Metamorphose, wenn man will, dernach das Subjekt immer stärker in den Mittelpunkt rückt und an deren Ende so ziemlich Meta Morfoss steht. Im Mythos dominiert die endgültige Metamorphose als Strafe für eine falsche Handlung, das Subjekt ist insofern aus dem Spiel, als es die Metamorphose erleidet und göttlicher Macht bzw. dem Fatum ausgeliefert ist. Im Märchen wird dieses Muster leicht aufgebrochen, indem das Subjekt die Möglichkeit erhält, die Metamorphose, die es als Strafe erfahren hat, rückgängig zu machen. In der klassischen und modernen Literatur tritt die Strafe mehr und mehr in den Hintergrund, das Subjekt erleidet die Metamorphose noch, aber aus Zufall, und es kann sie rückgängig machen, weniger durch Wiedergutmachung und vielmehr durch Widerstand oder das Finden einer Lösung. In dem Zusammenhang tritt auch die zyklische Metamorphose verstärkt auf, die, keine bloße Strafe mehr, als eine Art Geschenk genutzt werden kann. Der Ursprung der Metamorphose ist hier noch äußerlich (Zufall oder Unfall), doch das Subjekt nimmt sie an, verinnerlicht sie, macht sie sich also zueigen.
Bei Meta nun fällt demgegenüber noch der äußere Anlass weg, indem ihre Fähigkeit offenkundig angeboren, oder sagen wir vorsichtiger: ein Fall von Begabung ist. In Metas Geschichte ist jede Art Fatalismus beseitigt. Freier, souveräner, aktiver, affirmativer kann Metamorphose nicht mehr aufgefasst werden. Wenn man also sagt, dass Meta ein ganz besonderes Mädchen sei, dann gilt das nicht bloß für das Kaff, in dem sie leben muss, sondern offenbar auch für die ganze Weltliteratur gleich mit.
Noten
[i] Auszug einer Untersuchung, die im Oktober im Jahrbuch der Peter Hacks Gesellschaft erscheinen wird; vgl. Aber ich bin doch. Zur Interpretation von »Meta Morfoss«. In: Hacks Jahrbuch 2017. Hrsg. v. Kai Köhler. Berlin 2017.
[ii] Unberücksichtigt wird hier eine lange Reihe von Filmen und Romanen bleiben, in denen Verwandlung einen bloß dramaturgischen oder wirkungsästhetischen Effekt hat, also keine Bedeutung trägt. Während sie in Mythos und Märchen immer etwas bedeutet, häuft sich ihr Einsatz als bloßes Mittel der Erzählung in jüngeren Herstellungen. Das betrifft nicht allein B-Movies mit ihren selten mehr als physischen Plots (»Die Fliege«, »Species« und drgl.) oder solche Romane, die in farbkräftigen Einbänden beim Bahnhofshändler ausliegen. Auch unzweifelhaft große Griffe wie Gaimans »Sternwanderer« oder Petersens »Enemy Mine« bleiben hier ausgeklammert, da dort die Verwandlung hauptsächlich dem Fortkommen der Handlung dient.
[iii] Inferno, 13. Gesang, Vers 105. Übersetzung nach Witte.
[iv] Ich greife diese Geschichte heraus, weil sie einen weiteren Fall von Metamorphose in Hacksens Werk erinnert, wo Zeus sich (der dort, aus welchen Gründen immer, Jupiter heißt) »[i]n des Amphitryon Gehirn gekleidet« (HW IV, 103) hat, also wirklich, soweit ihm möglich, Amphitryon geworden ist.
[v] Ironisch gebrochen zwar, reflektiert zwar, zwar sich seiner selbst bewusst, doch um kein Stück weniger narzisstisch lässt Hacks – ein Jahr vor »Meta« übrigens – seinen Gott in »Adam und Eva«, der neben Höherem eben auch die Idee des poetischen Schöpfers verkörpert, die Worte sprechen: »[…] Letzten Endes, / Die wirklich angenehme Unterhaltung habe / Ich immer noch an mir. Und einen zweiten / Wie mich, wenn es ihn geben könnte, ehrlich, / Ertrüge ich kaum gern. Und doch bleibt wahr: / Ein wenig Gegenüber tut selbst Gott not. / Für wen macht man denn alles? Und wozu / Was machen, wenn es nicht für einen ist? / Dies im Gemüte schuf ich diese Welt« (HW IV, 380). In dieselbe Richtung zielt auch, zwei Jahre nach »Meta«, Hacksens berühmte Bemerkung, die Klassiker »haben die Götter arbeitslos gemacht« (HW XIII, 181). Vgl. auch Leistung und Demokratie. a.a.O., S. 49f.
[vi] Od. 10, 239–241. Übersetzung nach Voss.
[vii] Vgl. Das Kind, der Traum und eine Liebe, die durch den Magen geht. Über Sendaks »Where the Wild Things Are« [7. Oktober 2015; http://www.felix-bartels.de/2015/10/07/kinderbuecher-1-das-kind-der-traum-und-eine-liebe-die-durch-den-magen-geht/].
[viii] Vgl. HW XI, 209–214; entstanden vermutlich 1981 behandelt das Märchen den Widerstand gegen sexuelle Reife, indem sich die Heldin Linde vor aggressiven Nachstellungen ihres Klassenkameraden Egon fliehend in einen Baum, eine Linde nämlich, verwandelt. Die Erfahrungen, die sie sodann mit der niederen Tierwelt macht (Maikäfer, Junikäfer), erfüllen die Funktion des hereinbrechenden Realitätsprinzips. Zum Baum geworden, buchstäblich Wurzeln schlagend, erdet die Heldin sich und gewinnt ein Bewusstsein für Verhältnismäßigkeiten. Egon mag ein roher Trottel sein, aber er ist ein Mensch und damit immerhin der Möglichkeit nach zu mehr in der Lage als jene Tiere. Gewiss verarbeitet Hacks hierin zugleich die Ausreisewelle unzufriedener DDR-Künstler gegen Ende der siebziger Jahre, aber auch dieses Märchen ist poetisch und funktioniert daher auf mehreren Ebenen. Linde resigniert in ihre Lage als Frau und beschließt, sich bald mit Egon zu treffen. Es liegt im Auge des Betrachters, diese Resignation positiv oder negativ zu bewerten, in jedem Fall zeigt sie via Rollenverteilung an, dass der Dichter die weibliche Perspektive für die überlegene hält, sie muss sich zur männlichen Rohheit hinabbequemen, weil die sich hinauf zu bemühen überfordert ist.
[ix] Dietmar Dath: Für immer in Honig. Berlin 2008 [durchgesehene u. korrigierte Neuauflage], S. 971 u. 987.
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