Aug 242016
 

Ein Gespenst geht um in Europa. Es trägt eine Burka. Alle Mächte des alten Europa, geistige und materielle, haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet. Und das ist auch gut so.

(1) Offenbar gibt es keine zwei Meinungen bezüglich der Burka selbst. Der Streit geht lediglich um die Frage, wie das, was man nur ablehnen kann, gesellschaftlich zu behandeln ist. Soll man die Burka einfach hinnehmen oder ihr Zeit geben, durch gesellschaftliche Emanzipation zu verschwinden, oder auf Geduld und Aufklärung setzen oder meint man, vor allem mittels gesetzlicher Restriktion das Problem eindämmen zu können. Zwischen diesen Ansätzen etwa bewegen sich die vorgetragenen Ansichten. Kaum jemand kritisiert das angeregte Verbot, weil er die Burka selbst als Wert sähe.

(2) Weswegen eigentlich gehört die Burka aus der Welt? Weil mit ihr eine Grenze überschritten wird. Sie liegt in der vollständigen Liquidierung von Individualität. Wo ein Mensch zur Gardine auf Beinen degradiert wird, wo ein Mann seine Ehefrau ganz zu besitzen beansprucht und nicht einmal den Anblick ihrer individuellen Schönheit mit dem Rest der Welt teilen will, dort ist eine Grenze überschritten. Eine Grenze, die im Hijab oder im Burkini, die das Gesicht wenigstens zulassen, zwar anvisiert, aber noch nicht überschritten ist. In Burka oder Niqab hingegen wird die Frau nicht bloß zum Besitz des Mannes, ihr wird genommen, was allererst menschlich genannt werden kann: ihre Besonderheit, ihre Individualität und die Möglichkeit, sich herzuzeigen bzw. unvermittelt gesellschaftlich zu werden.

(3) Das Innerste des Streits um das Verbot der Burka ist nicht die Frage, ob man für oder gegen Islam oder für oder gegen seine absurdesten Bräuche sei. Wer bloß das sieht, bleibt an der Oberfläche. Oberflächlich bleibt auch, wer die Angelegenheit allein für einen Streit um Emanzipation hält. Die besondere Struktur dieses Streits liegt in der Frage, wie man es mit dem Staat hält. Das Problem, das die Kritiker mit dem Verbot haben, sei, wie sie gern betonen, nicht seine Absicht. Es sei der Umstand, dass es sich um ein Verbot handle. Sie stören sich nicht daran, dass Macht (von Männern auf ihre Frauen) ausgeübt wird; es stört sie vor allem, dass es der Staat ist, der Macht ausübt.

(4) Irrsinnig ist die Annahme, dass wo der Staat sich zurückzöge, einfach die Freiheit den Platz einnimmt. »Was der Staat nicht regelt, regeln andere.« Diesen Satz von Peter Hacks hat Wolfgang Pohrt zu einem ganzen Buch ausbuchstabiert. Wir kennen es unter dem Titel »Brothers in Crime«. Der Staat kann unterdrücken oder zulassen, dass unterdrückt wird. Was er nicht kann, ist, Unterdrückung bekämpfen, indem er auf Unterdrückung verzichtet. Er hat gar nicht die Möglichkeit, menschlich zu werden. Der äußerste Grad Menschlichkeit, den er erreichen kann, liegt darin, dass er Unmenschliches bekämpft.

(5) Es geht also nicht darum, ob Macht ausgeübt wird, sondern, in welche Richtung sie geht. Die Kritiker des Verbots stellen sich, fast ohne Ausnahme, als liege ein Zustand des gesellschaftlichen Friedens vor, der erst durch ein gesetzliches Verbot der Burka gestört würde. Sie sind gezwungen dazu, denn nur dann funktionieren ihre Argumente. Konzedierten sie, dass zwischen Gewaltausübung und Dulden von Gewaltausübung kein Drittes möglich ist, weil in den Kreisen, gegen die das Verbot sich richtet, ein Gebrauchsrecht in Kraft ist, das nichts anderes vorstellt als Gewohnheit gewordene, organisierte Unterdrückung der Frauen durch ihre Männer, würde offenbar, dass die Liberalität, die diese Kritiker zu demonstrieren beabsichtigen, ein wärmender Mantel ist, der ihnen dazu dient, die Behauptung zu stützen, das Wetter hier sei aber recht warm. Wer diesen Mantel anzieht, macht sich gegen seine Absicht zum Beihelfer einer veritablen Illiberalität, die den Alltag erwähnter Frauen zur Gänze umschließt.

(6) Da unerfreulich viele Kritiker des Verbots von linker Seite kommen, darf man ruhig darauf hinweisen: Diese Kritiker bedienen sich einer libertären und anti-etatistischen Logik. Was natürlich ihr gutes Recht ist, woran man sie bloß erinnern sollte, wenn sie das nächste mal, in ökonomischen Fragen z.B., nach mehr Staat rufen.

(7) Die Gegner des Verbots reden gern darüber, dass ein Verbot allenfalls das letzte Mittel sein dürfe. Vielleicht haben sie damit recht. Eben deshalb aber ist es Zeit für ein Verbot. Denn die Gesellschaft, insofern sie einfach da und besser ist als die muffigen Verhältnisse des muslimischen Patriarchats, hat ihre Mittel ausgeschöpft. Wer sich in den Jahrzehnten, worin in Europa Gleichberechtigung und Emanzipation so weit fortgeschritten sind, dass sie gegen die Rudimente heutigen Patriarchats beinahe wie am Ziel wirken, bewusst in die entgegengesetzte Richtung entwickelt, seine Frauen zwingt, das Tuch wieder anzulegen, weil er die kulturelle Hegemonie des Westens nicht erträgt, der lässt sich wohl kaum durch Workshops oder Diskussionsabende zur Vernunft bringen. Die Behauptung des Verbots als ultima ratio bleibt abstrakt, weil kein Verbotskritiker in der Lage ist, konkret anzugeben, was denn nun die geeigneten Mittel vor dem letzten Mittel sein sollen.

(8) Gern bemüht wird auch die beliebte Meinung, dass Verbote nichts bringen. Das ist zwar, ein Blick auf die Geschichte zeigt es, nicht wahr, doch das kann Menschen, die sich in jeder anderen Hinsicht ebenso wenig von Sachlagen beeinflussen lassen, kaum schocken. Was diese Leute vielmehr ausdrücken, das ist ihr Wunsch, dass Verbote nichts bringen sollten. Tun sie aber.

(9) Teilverbote bringen gar nichts.

(10) Die mangelhafte Umsetzbarkeit von Verboten ist aus zwei Gründen kein sinnvolles Argument gegen das Verbot. Man sollte, erstens, sich klarmachen, dass kein Gesetz bestehen bleiben könnte, wenn man den Maßstab anlegt, dass es erst Berechtigung zur Existenz hätte, wenn es das, wogegen es besteht, vollständig beseitigen kann. Dass Vergewaltigung z.B. strafbar wurde, hat an dem Umstand, dass vergewaltigt wird, nichts geändert, weil in den Situationen, worin dergleichen passiert, andere Dinge im Vordergrund stehen als der Gedanke an eine mögliche Strafe. Dennoch käme niemand, der bei Sinnen ist, auf den Gedanken, die Strafbarkeit von Vergewaltigung wieder aufzuheben. Gesetze nämlich haben, zweitens, nicht allein eine praktische Funktion bezogen auf die Strafverfolgung; eine Gesellschaft drückt durch sie auch aus, wo sie steht und wohin sie will.

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