Apr 012015
 

Der lange Marsch des Antideutschen (Kurzfassung)

Der Wechsel des hochbegabten Kolumnisten Deniz Yücel von der taz zur Welt ist wenig überraschend. Er passt dorthin. Zumindest ein Teil von ihm, und ich glaube, das ist der größere. Yücel hat sich insbesondere in den letzten Jahren als zunehmend anschlussfähig an dieses Blatt, sein Milieu und seine Linie gezeigt. Auch deswegen haben viele Leser – meist verärgert, mitunter erfreut – gleich nach seiner letzten taz-Kolumne den logischen Schluss gezogen. Istanbul, das ist klar, ist hierbei nur der Umweg in die Dutschke-Straße.

Yücel geht den gewöhnlichen Weg des ambivalenten Linken, der erst ideologiekritisch das Treiben des eigenen Lagers reflektiert und dann zunehmend Anschluss an den bundesrepublikanischen Zusammenhang findet. Das soll die Arbeit der ideologiekritischen Fraktion nicht schmähen. Es ist notwendig, dass man politisches Treiben reflektiert, regressive Elemente identifiziert und, soweit möglich, eindämmt. Es ist wichtig, die eigenen Denk- und Handlungsgewohnheiten zu prüfen. Der Teufel liegt immer in dem, was einem am selbstverständlichsten scheint. Doch in jedem Treiben liegt die Tendenz zum Übertreiben. Yücel kommt aus einer Szene, die schon seit längerer Zeit vor lauter Metapolitik kaum noch zur Politik kommt, die Ideologien schneller zerlegt als Ulf Poschardt am Sonntagvormittag seinen Zweitporsche und dabei endlich selbst gefangen ist in einer Welthaltung, die als Ideologiekritik angetreten und als Ideologie der Kritik gestrandet ist. Die jede Gegenbewegung zum Bestehenden, jede Form des Antikapitalismus diskreditiert, weil sie stets nur nach regressiven Elementen sucht und naturgemäß – denn was sie untersucht, sind Massenbewegungen – auch stets etwas findet, das ihr das Recht gibt, nicht mitzutun und destruktiv am Rande zu stehen.

Es gibt Kommentatoren, in deren Augen eine Kritik mit gegen-kapitalistischer Stoßrichtung immer schon verloren hat. Kein Argument kann so differenziert und stichhaltig sein, dass es, im Fall es eine linke Tendenz bedient, akzeptiert werden könnte. Es reicht dann, von Aufwärmen alter Feindbilder zu sprechen, das Treiben irgendwelcher Idioten auf die gesamte Gruppe hochzurechnen, und der Fall ist erledigt. Das, immerhin, tut Yücel eher selten. Aber er hat ja noch Zeit.

Es geht, ich wiederhole mich, nicht gegen die Notwendigkeit von Reflexion. Wo ein Linker allerdings keine andere Sorge mehr kennt als die kritische Destruktion der eigenen Bewegung, folgt praktisch verlässlich zunächst die innere Abkehr von der Linken und wenigstens häufig dann irgendwann auch die äußere. Und in dem Fall gibt es in der wirklichen Wirklichkeit tatsächlich nicht mehr viele Alternativen, als ebenda hinzugehen, wo all diese Ex-Linken dann doch stets landen. Sicher, es gibt ruhmreiche Ausnahmen, die es mehr oder weniger schaffen, Bewegungsdenken und autonomes Denken zu vermitteln, die den Abgrund erkennen, ehe sie darüber hinaus sind. Yücel gehört nicht dazu. Ich korrigiere mich: wird nicht dazu gehören.

Die Reise geht immer weiter. Im neudeutsch religiös-patriotischen Gefüge der Welt wird er es schwer haben, einen Text unterzubringen wie etwa seine Polemik gegen den designierten Präsidenten Gauck (taz v. 20. Februar 2012). Man wird von ihm erwarten, dass er begreift, dass wahre Ideologiekritik grundsätzlich gegen links gerichtet ist, während die neoliberalen und neokonservativen Anschauungen mehr oder minder Ausdruck von Rationalität sind. Ob Yücel sich dem unterordnen wird, liegt ganz bei ihm.

Wir unseres Teils bleiben sitzen an jener gemütlichen Flussbiegung, wo der Bär angeln und der Tiger Pilze finden geht, und wenn die Sprache auf ihn kommt, werden wir sagen: Armer Deniz. Wir kannten ihn nicht gut und haben ihn doch vergessen.

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