Sep 292014
 

Mark P. Haverkamp, der sich hierdurch mit Dank überschüttet fühlen soll, hat mich für den Liebster Award nominiert, was eine schöne Sache mit schrulligem Namen ist. Ich mag die Fragen wie die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen, tue folglich, was ich kaum je tue: mitmachen. Aber ich ändere den Namen. Der Preis heißt ab jetzt Lobster Award, meint aber im übrigens alles, was sein Vorgänger auch meint.

Die Antworten

1. Bei welcher deiner Meinungen (von der du sehr überzeugt bist) stimmen die meisten anderen nicht mit dir überein?

Staatsbegriff, Demokratie, Sozialismus, Deutschland, Israel, politische Romantik, Miroslav Klose (in ascending order).

2. Wo wärest du jetzt gern?

bei Starbucks.

3. Welchen Einfluss hat Facebook auf deinen Charakter?

Facebook ändert nichts, es verstärkt nur die ohnehin vorhandenen Züge. Paranoiker werden paranoider, Stalker stalken mehr, Spaßvögel werden witziger, Denker klüger usw.

4. Dein Fußballverein?

Arsenal FC.

5. Paul Tillich sagt, dass Liebe auf Verwechselung beruht? Könnte das sein?

Ich kenne Tillich nicht so gut, wie ich sollte, weiß daher nicht genau, wie diese Auffassung zu verstehen ist. Welche Liebe meint er, die agapê oder den Eros? Versteht er sie unabhängig von der Liebe Gottes, die mir eine ganz andere Sache zu sein scheint. Ich halte für nötig, die Liebe sowohl von ihrer allgemeinen Form zu trennen, denn sie kann nie auf alles, sondern immer nur auf ein konkretes Wesen bezogen sein, als auch von der sexuellen Neigung, denn wir benutzen das Wort auch außerhalb von sexuellen Zusammenhängen. Es gibt symmetrische und asymmetrische Formen der Liebe, letzteres insbesondere im Verhältnis von Eltern und ihren Kindern (wo die Liebe auf ganz andere Weise, doch immerhin noch erwidert wird), aber auch von Menschen zu ihren Haustieren oder, im Sinne Pygmalions, des Künstlers zu seinem Werk (wo die Liebe aufhört, ein zweistelliges Prädikat zu sein). Die Form, in der die Liebe ganz bei sich ist, ist dann natürlich die symmetrische, also ein nicht freiwilliges Verhältnis freier Menschen zueinander, und in diesem spielt die Idee immer eine Rolle. Wie die Griechen (mit ihrer philia) halte ich für viel leichter, Liebe und Sex zu trennen als z.B. Liebe und Freundschaft. Freundschaft ist wohl ein Wort, das nur deswegen so gern benutzt wird, damit die Zuschreibung der Liebe nicht zu oft gebraucht wird, denn Liebe kann kompromittierend sein und ist als starker Ausdruck zugleich auszeichnend und (für andere) herabsetzend. Liebe ist immer peinlich, nach innen wie nach außen. Verwechslung, würde ich sagen, ist in ihr schlechterdings unvermeidlich, und das hat mit ihrem idealen Anteil zu tun. Liebe beruht auf zwei gegenläufigen psychologischen Mechanismen. Zum einen dem Hochrechnen einer konkreten Person zu einer idealen; wir machen uns ein Bild unserer geliebten Person, das immer glatter ist als die Person selbst. Zum anderen entzündet sich die Liebe in ihren besonderen Momenten gerade an den Unvollkommenheiten der geliebten Person. Wir lieben die, die wir lieben, gar nicht so sehr für ihre Vorzüge, sondern vielmehr eine abstrakte Idee von ihnen, die keine Details kennt, aber damit die Liebe besonders und zum Vergnügen werden kann, haken wir uns gerade in die kleinen Fehler, Marotten und Schwächen des anderen ein. Das entbindet uns davon, den, den wir liebend in den Himmel heben, anbeten zu müssen. Lieben heißt also, gemeinsam schwach sein und daraus zur Stärke zu kommen. Beide Vorgänge, die ohne einander nie zur Liebe führen könnten, scheinen mir in der Tat Verwechslungen zu sein, nämlich mit der tatsächlichen Person, die wir lieben.

6. Welches Buch hat dich in diesem Jahr (2014) am meisten bewegt?

Das, an dem ich gerade schreibe.

7. Print oder ebook oder beides?

Print (immer).

8. Schreibst du Gedichte?

Nicht mehr.

9. Welcher lebende deutschsprachige Erzähler stößt dich am meisten ab?

Günter Grass.

10. Welches Problem in der Welt würdest du als erstes gelöst haben wollen?

Es gibt eine Reihe von Erscheinungen, die zwar über alle Maßen unerfreulich sind, aber nie wirklich verschwinden können. Kriege z.B., religiöser Eifer, Kriminalität, politische Borniertheit, Rassismus, Judenhaß, Sexualverbrechen. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich ein Problem lösen, das sich lösen läßt: die Armut. Technisch, vom Stand der Produktivkräfte, ist es allemal möglich, und was ein bissl Vergesellschaftung in puncto Verteilung von Reichtum so alles bewirken kann, wenn man es nicht zu dumm anstellt, läßt sich leicht denken. Die Beseitigung der Armut hätte zudem Auswirkungen auf andere, auch einige der gerade erwähnten Probleme. Auch sie wird unlösbare Probleme nicht lösen, aber aller Erfahrung nach wirkt sich ein allgemeiner Wohlstand angenehm lindernd auf die Verkehrsformen einer Gesellschaft aus. Das kann man in den Regionen der Welt beobachten, wo der Wohlstand bereits nahezu allgemein ist. Also im Vatikan und auf Long Island.

11. Glaubst du, dass du in dreißig Jahren in einer besseren Welt leben wirst?

Philosophisch müßte ich natürlich antworten, daß die Welt auch in 30 Jahren immer noch dieselbe sein wird, da sich ja allenfalls ihr aktualer Zustand ändert. Politisch hingegen stellt sich Frage, welchen Maßstab man anlegt. Ich habe (bislang) in zwei Staaten gelebt, die sehr verschiedene Eigenschaften besaßen und (da es Systeme waren) besitzen mußten. Beide hatten (oder haben) ihre Vorzüge und Nachteile. Welches System man vorzieht, hängt davon ab, welche Ideale einem am wichtigsten sind: Freiheit, Gleichheit, Reichtum, Frieden, Liebe, Gerechtigkeit, Organizität oder was dergleichen mehr ist. Der Vorzug dieser Sicht auf die Dinge ist, daß sie dem Einzelnen ermöglicht, sich bei vollem Bewußtsein für oder gegen einen Lebensentwurf zu entscheiden, also dem gebräuchlichen Irrtum zu entgehen, die eigene Neigung sei zugleich das Allgemeingütige und Normative. Das wichtigste Merkmal des politischen Irrationalismus ist diese Unfähigkeit, zu einer Sache halten zu können, die nicht zugleich als das absolut Richtige, Gute-Wahre-Schöne vorgestellt ist. Aber ich will mich nicht drücken: Ja, ich glaube in der Tat, daß die Welt in 30 Jahren besser sein wird als heute. Zunächst, weil es vernünftig ist, an die Zukunft als eine bessere zu glauben. Nächsthin aus dem einfachen Grund, daß mit wenigen Ausnahmen die Dinge immer nur besser werden. Die Technik, die Medizin, das Wissen, der Konsum verbessern sich nahezu kontinuierlich. Ob die soziale Lage sich weiterhin, wie in den letzten Jahren, verschlechtern wird, ist dagegen nicht sicher. Ganz abgesehen davon, daß es nicht um eine absolute Verschlechterung handelt. Ich leugne nicht den tendentiellen Fall der Profitrate, aber die Verelendung ist eine relative. Der Hartz-IV-Empfänger verhungert nicht, sondern muß eher hier und da auf gute Ernährung verzichten. Seine medizinische Versorgung ist besser als die eines gut bezahlten Arbeiters vor 30 Jahren, aber schlechter als die eines gut bezahlten Arbeiters von heute. Er genießt mehr Freiheiten als der vierte Stand bei Bismarck, aber bewegt sich heute dennoch in einem raffinierten System der Zwangsarbeit, das in Ansätzen die grundlegende Bestimmung des Code civil aufhebt. Und so weiter. Mit einem Wort: Ich will den Kapitalismus nicht weghaben, weil die Welt nicht mehr schlechter sein könnte, als sie jetzt ist, sondern, weil ich meine, daß sie durchaus besser sein kann.

Ich nominiere

Daniel Rapoport, mein dionysischer Konterpost, der bei mir für das nötige Chaos sorgt, wie ich bei ihm für die nötige Ordnung. Wir treffen uns immer in der Mitte, und ohne ihn bin ich weniger als die Hälfte wert. Er hat die Odyssee ins Morsealphabet übersetzt, aber das gehört nicht hier her.

Leopold Moses Schmidt, ich kannte einen Mann seines Namens, ich kannte ihn gut. Seit Jahren verschollen, schickt er gelegentlich bezahlte Schauspieler bei mir vorbei, um das Gerücht zu halten, daß er noch am Leben ist. Hochbegabt mit Hindernissen: hat alle Zähne im Mund, will aber nicht La Paloma pfeifen.

Cyrano; ich weiß nichts über ihn, außer das, was sich aus seinem Journal ablesen läßt. Ein organisierter und scharfsinniger Kopf. Die Chance, daß er und ich in einer ästhetischen Frage übereinstimmen, liegt bei 50:50. Das ist eine sehr gute Quote in unserer Spielklasse.

Jakob Blumtritt, Ideologiekritiker, aber beweglich und aufgeschlossen. Wenn ich Antworten auf Fragen will, die ich mir noch nie gestellt habe, lese ich ihn. Hat wie ich eine Weile in Japan gelebt.

Mark P. Haverkamp, in New York geborener Dortmunder aus Mannheim, so alt wie ich, schreibt meistens über Fußball. Er hat ein eidetisches Gedächtnis, mit dem er viel zu selten prahlt. Dafür, daß wir aus politisch sehr verschiedenen Abteilungen kommen, haben wir erstaunlich oft ähnliche Ansichten.

Die Fragen

1. Was sind die Zutaten eines schönen Abends?
2. Das schönste Stück Lyrik, das du je gesehen, bitte: (nicht zitieren, nur Autor, Titel)
3. Sind ästhetische Werturteile objektivierbar?
4. Kann man sich je freimachen von Ideologie?
5. Hast du ein Lebensthema? Wenn ja, welches?
6. Blitzantwort: Kant oder Hegel? Mozart oder Stockhausen? Kochen oder Essen?
7. Ein Blick in Brechts Lehrstücke: Angenommen einer könnte, indem er sich opfert, das Überleben einer Gemeinschaft retten – sollte er es tun? (Mr. Spock sagt: ja)
8. Abgesehen von Günter Grass: Welcher Dichter der Gegenwart (20./21. Jh.) ist am abstoßendsten?
9. Die drei besten Kinofilme aller Zeiten sind:
10. Gehört der Tod abgeschafft?
11. Worauf kömmt es an: die Welt zu interpretieren oder sie zu verändern?

Regeln des Lobster Awards

1. Niemand soll sich gezwungen sehen, an dem Spiel teilzunehmen. Ganz besonders die von mir Nominierten nicht.
2. Wer es möchte, beantworte bitte meine 11 Fragen und stelle seinerseits 11 Fragen an 1, 2, 5 oder 273 Blogger seiner Wahl.
3. Der nominierende Blogger darf renominiert werden (er wäre damit zweifacher Träger des Lobster Awards).
4. Der Award heißt Lobster, nicht Liebster.

  4 Responses to “Lobster Award”

  1. […] und die Gesellschaft der anderen Nominierten, in die man sich begibt, wenn man folgt. Wenn nun also Felix Bartels einen putzigen Fragenkatalog unter dem Deckmantel des Lobster Awards (ehemals Liebster Award) in meine Richtung schickt, weil er […]

  2. […] das Verb “nominieren ist diesen Herbst grassierend – für den im Titel genannten Award.  So sehr hat er mich gelobt – man könnte auch “gelobstert” sagen – […]

  3. […] stoßen. Gerade bei Felix Bartels konnte ich das schwer einschätzen. Der nun aber hat meine Fragen beantwortet und mich umgehend (nicht vorher zu fragen) für den von ihm nun so genannten Lobster Award […]

  4. […] Bartels hat mich zu einem Spiel eingeladen, das mit Lob dem Namen nach mindestens ebenso viel zu tun hat wie mit Krustentieren. Für […]

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