Er sitzt und spricht. Fernsehkritik
Der Todenhöfer Jürgen, beständiger Gast in deutschen Talkshows, weil man ja nicht nur Experten einladen kann, sondern auch einen braucht, der das Sentiment bedient und den Authentizitätsfimmel der Marke »Ich war selbst da, habe es mit eigenen Augen gesehen« (und wenn ich ein wenig übertreibe, dann nicht, um Sie zu manipulieren, sondern um den armen Menschen dort eine Hilfe zu sein), der reaktionäre Einpeitscher[1] also, der sich in jeder Sekunde seiner weltpolitischen Bedeutung bewusst und trotzdem immer bescheiden geblieben ist, hatte gestern bei Anne Will[2] einen Traum, wie Gandhi, oder war es Martin Luther King? Mandela? Pol Pot? Egal. 1,8 Millionen Menschen gehen friedlich zur Grenze, ohne Waffen, mit Fahnen, auf denen »Freiheit« steht.
Und was dann? Topfschlagen? Gruppensex? Gemeinsame Koranlektüre?
Ich sehe selten fern, schon, um nicht allzu oft daran erinnert zu werden, dass Michael Lüders existiert. Fernsehen, das liegt im Medium, ist was fürs Volk. Der Text kann komplizierte Sachverhalte, vertrackte Herleitungen, lange Zitate zusammenbringen, kann Gedanken entwickeln, also anspruchsvoll und ausführlich zugleich sein. Das Fernsehen ist bloß eindrucksvoll und vermittelt, genau wie Todenhöfer, nur den Anschein des Authentischen. Insofern passen die beiden tatsächlich gut zusammen. Der Zeuge verkörpert, was er erlebt hat, und der ihm zuhört, vergisst schnell, dass dieser Zeuge in dem Moment, da er seine Aussagen macht, selbst zum Medium geworden ist. Erst wo diese subjektive Verzerrung als unvermeidlich erkannt und somit klar ist, dass das Authentische ein unerfüllter Wunsch bleiben muss, kann sich ernstlich die Frage nach der Substanz des Gesagten stellen. Erkenntnis braucht Gedanken, nicht Erlebnisse. Zu geopolitischen Problemen aber hat Todenhöfer nichts beizutragen. Wie man komplexe politische Vorgänge analysiert, ökonomische Zusammenhänge erkennt, ideologische Strukturen entschlüsselt, mit Quellen arbeitet usf. weiß er nicht. Er hat sein Gefühl, und mehr braucht er nicht. Methodenhöfer.
Es ist leicht, in einer TV-Diskussion Stimmung zu machen. Man muss nur Begriffe fallen lassen, die bei den Zuhörern bestimmte Assoziationen wecken, man braucht nichts zu belegen und kann im Wortgefecht sicher sein, dass niemand mit den Richtigstellungen hinterherkommt: Wenn Todenhöfer, nachdem Wolffsohn und Dreßler die Logik des asymmetrischen Kriegs heruntergeleiert und schlüssig dargelegt haben, warum Body Counting populistischer Unsinn ist, einfach damit fortfährt, Opferstatistiken aufzusagen (und dass er dabei noch falsch gezählt hat, sei ihm jetzt durchaus geschenkt). Wenn er den Goldstone-Bericht zitiert, obwohl der schon vor Jahren von seinem Urheber selbst revidiert worden ist.[3] Wenn er anderseits die Strategie der menschlichen Schutzschilde selbst dann leugnet, wenn sie von den Sprechern der Hamas bestätigt wird. Wenn er reißersch von »Kriegsverbrechen« und »Bombardierungsorgie« redet und dafür nichts anzugeben weiß als sein festes Empfinden. Wenn er behauptet, dass die Tötung von am Strand spielenden Kindern durch eine israelische Rakete kein Fehler, sondern nur Absicht gewesen sein kann, ohne auch hier nur eine Begründung beibringen zu können. Wenn er Gaza ein Ghetto nennt, obgleich Israel das Territorium nicht einmal umschließt. Wenn er, da ein antisemitisches Stereotyp nicht gern allein ist, gleich noch die Analogie zur Apartheid Südafrikas herstellt und Israel eine »europäische Kolonie auf arabischem Boden« nennt, was ja nicht nur sachlich falsch ist (ca. die Hälfte der Juden in Israel, wie Wolfssohn immerhin gleich widerlegen konnte, stammt aus dem Orient), sondern auch ein völkisches Denken anzeigt, das von der organischen Verwachsenheit der Araber mit dem dortigen Boden ausgeht. Wenn Todenhöfer all das aus seinem Mund abfeuert, weiß er, wie die Hamas bei ihren Raketen, dass nicht alle Geschosse abgefangen werden können. Semper aliquid haeret.
Im Fernsehen gewinnt immer der Populist. Selbst wenn er verliert. Was die Argumentation betrifft, die Fähigkeit an das zuvor Gesagte anzuschließen und seine eigenen Gedanken luzide und differenziert zu entwickeln, hätte Todenhöfer überall sonst verloren. Im Fernsehen aber kann er nicht verlieren, weil das Publikum sich nach Authentizität des Selbsterlebten und nach menschlichen Regungen sehnt. Das militärische Kräfteverhältnis zwischen Hamas und IDF wurde von Todenhöfer gestern als »Dritte Liga vrs. Champions League« beschrieben. Seine Identifikation mit den Terroristen aus Gaza muss sehr weitgehen, da er doch offenbar bestrebt war, dieses Verhältnis in der Diskussion gegen Michael Wolffsohn zu reproduzieren.
Die Frage der Sendung lautete, ob man bei diesem Konflikt neutral bleiben kann. Doch die eigentliche Linie in der Rezeption verläuft nicht zwischen proisraelischen, propalästinensischen und äquidistanten Positionen, sondern zwischen Kalkül und Teilnahme. Wir erleben bei der Behandlung des Nahostkonflikts eigentlich nichts anderes als das, was wir immer erleben. Es werden parallel zwei Diskurse geführt, ein emotional-moralischer und ein nüchtern-analytischer. Bei anderen Themen jedoch – der Ukraine, der EU-Krise, Merkels Abendkleidern usw. – werden die Linien beider Diskurse von den Parteilinien gekreuzt. Jedes politische Lager hat Bauch- und Kopfarbeiter, Vertreter, die lediglich Meinungen spazieren tragen, und Vertreter, die den Gegenstand auch durchdenken. Beim Nahostkonflikt scheinen die Parteilinien an den Linien der Diskurse entlang zu verlaufen. Denn während beide Seiten am emotional-moralischen Diskurs Anteil haben, findet der nüchtern-analytische praktisch unter Ausschluss der propalästinensischen Partei statt. Ich formuliere das so kompliziert, weil dieses Verhältnisses nach meinem Eindruck nicht den Grund hat, dass Israelverteidiger generell intelligenter sind. Man muss es von der anderen Seite fassen. Sobald ein Bemühen vorliegt, den Komplex einigermaßen sachlich zu durchdenken, wird die Parteinahme für die Agierenden des Gaza unmöglich. Die chronisch einseitige, gefühlsgeladene Wahrnehmung des Konflikts hat indes dazu geführt, dass jede angemessene, aufs Ganze gerichtete, die Dialektik und Dynamik des Konflikts erfassende Beurteilung bereits als proisraelische Parteinahme erscheint. Das hängt gewiss zusammen mit der in Europa verbreiteten Stimmung gegen Israel und Juden, liegt aber auch in der Asymmetrie des Konflikts selbst, nicht so sehr in der kräftemäßigen, sondern in der ideologischen.
Es ist absurd, eine Mitte zwischen einer Ideologie der Selbstbehauptung und einer Ideologie der Vernichtung[4] herstellen zu wollen, was natürlich nicht bedeutet, sich den Standpunkt der besseren Seite gleich ganz zueigen zu machen. Eine realistische Verarbeitung des Konflikts muss die real gegebene Asymmetrie spiegeln. Angemessenheit in der Beurteilung ist stets möglich; Angemessenheit in den Maßnahmen ist etwas anderes. Jeder Kampf ist in gewisser Hinsicht ein Gleichmacher. Man muss töten, wenn man sich verteidigt, ob man will oder nicht, und natürlich hinterlassen Jahrzehnte des Terrors auch bei den Zielen des Terrors ihre Spuren, führen bei nicht wenigen Betroffenen zu Fanatismus und Irrationalität. Aber das ändert nichts daran, dass die Beweggründe der Parteien verschieden sind, was ja nicht nur irgendwann am Anfang mal zu merken war, als Israel noch nicht von den Erben Jabotinskys regiert wurde, sondern sich auch im Verlauf des Konflikts bis in die Gegenwart immer wieder zeigt. Nicht die IDF begeht, was ihre Strategie betrifft, Kriegsverbrechen, sondern die Hamas. Die Israelis schützen ihre Zivilisten und benutzen sie nicht als Schilde, und sie nehmen, so absurd das klingt, auch mehr Rücksicht auf die Zivilisten von Gaza als die Hamas. Sie markieren ihre Ziele, ehe sie sie bombardieren, damit, wer will, sich in Sicherheit bringen kann, sie haben versucht, den Krieg zu vermeiden, und sie benennen nicht Straßen und Plätze etc. nach denen, die in ihrem Namen Terror ausüben, sondern strafverfolgen sie. Sie geben sich Mühe, in dem Konflikt zwischen Militär und Zivilbevölkerung zu unterscheiden, was praktisch, zumal wegen der Strategie der Hamas, nicht immer möglich ist. Bzw., wie Leo Fischer unlängst vorschlaghämmerte: »Im Vergleich zum puren Vernichtungswillen des Gegners, die permanente Einschwörung einer ganzen Gesellschaft auf mörderischen und selbstmörderischen Antisemitismus, finde ich die inneren Probleme der israelischen Gesellschaft, wie Rassismus etc., die es ohne Zweifel gibt, tatsächlich unbedeutend, jedenfalls für die Frage, welcher Gesellschaft dort unsere Sympathien grundsätzlich zu gelten hätten.«[5]
Die politische Romantik ficht das nicht an. Sie kennt keine Argumente, außer diejenigen, die aus ihren eigenen Untiefen kommen. Die Gründungsgeschichte und der Existenzkampf Israels ist ein Stoff, der zu verschiedenen Übungen taugt. Den einen ist er Anlass, bestehende Wut abzuladen und die eigene Niedertracht im Handeln anderer wiederzuentdecken; den anderen ist er Herausforderung, eine Sache gerade in ihrer Widersprüchlichkeit zu behandeln, sie in ihrer Totalität zu erfassen, dabei zugleich in ihre Grenzen zu resignieren und jedenfalls zu vermeiden, sich die eine oder andere Seite schönzusaufen. Als Kennzeichen des politischen Romantikers darf gelten, dass er nicht in der Lage ist, zu einer Sache zu halten, die in seiner Vorstellung nicht zugleich vollkommen rein, wahr und gut ist.
Doch auch wenn es den Anschein hat, als ließe sich die Politische Romantik als intellektuelle Fehlbildung beschreiben, liegt ihre Wurzel immer im Gefühlshaushalt. Kein Mensch ist dümmer, als er unbedingt muss. Todenhöfer, der zwar betont, kein Freund der Hamas zu sein, dessen Kritik an der Hamas sich jedoch auf solche Beteuerungen beschränkt, und der in allen anderen Zusammenhängen nie etwas anderes tut, als der israelischen Seite die Schuld zuzuschieben, das Handeln der Hamas zu leugnen, zu verharmlosen oder als Verzweiflungsakte auszugeben, dieser Todenhöfer verrät sich immer und tat es auch diesmal. Als eingeborener Vertreter der bürgerlichen Mitte ist er ein Freund Israels und aller Juden, will nur das Beste für sie, und fordert, mit väterlicher Liebe, Erziehung durch internationale Kontrolle und Sanktionen. Und wie man es von Antisemiten in denial kennt, liefert er das Bekenntnis per Implikation gleich mit. Nervösen Blicks nimmt er sein Gegenüber, den deutschen Staatsbürger Michael Wolffsohn, in den festen Griff und sagt: »Denn das ist die Forderung an Sie, Sie müssen den Palästinensern einen Staat geben, der lebensfähig ist und der gleichberechtigt ist.« Wolffsohn fragt erstaunt zurück, ob Todenhöfer ihm gerade wirklich den Auftrag gegeben habe, den Nahostkonflikt zu lösen.
In der Logik des Wahnsinns ergibt das jedoch Sinn. Wolffsohn ist Jude, also die richtige Adresse, wenn es um Forderungen gegen die Regierung Israels geht. Todenhöfer verhält sich da nicht anders als der islamistische Mob, der im Lauf der vergangenen zwei Wochen in Frankreich, Deutschland und anderswo in Europa aus Protest gegen den Gazakrieg zum Synagogensturm ansetzte. Darin kehrt ein klassisches Element des Antisemitismus wieder, nach dem das Judentum stets als, wo nicht gar verschworene, so doch gleichstrebende Gemeinde aufgefasst wird und jeder Jude die Taten eines anderen Juden unbedingt billige. So lasset uns denn schließen mit Worten Saul Aschers, der bereits 1818 zum Ausdruck gebracht hat, was dem Judenhass für alle Zeit so eigen wie unbewusst bleiben wird:
»Es herrscht im allgemeinen der Wahn, daß in den Juden der Jude überhaupt enthalten sei, daß sie sich nicht belügen, betrügen, verleumden und verfolgen, denn man hält sie für ein Ganzes, für einen Leviathan, und wo, fügt man corollarisch hinzu, ist das Wesen, das in seinen eigenen Eingeweiden mit dem Dolch wühlt?«
—–
[1] Geschichtsstunde. Im ersten Afghanistankrieg ergriff der Urheber des aufschlussreichen Buchtitels »Ich denke deutsch« Partei gegen den Erbfeind aus Moskau und für die Mudschahidin. Desgleichen hat er sich für Pinochet starkgemacht und dem syrischen Präsidenten Assad durch ein dienstbares Interview propagandistische Hilfe bezeigt. Vor ein paar Monaten (am 27. April via Facebook) bezeichnete er die religiöse Überzeugung als das »Wertvollste, was viele Muslime haben«, und gab damit unfreiwillig sein eigenes System von Werten preis, aus dem die Betroffenen lernen können, dass sie für Todenhöfer als Menschen nichts wert und zum Träger eines Glaubens degradiert sind. Folgerichtig fordert er bei derselben Gelegenheit, unliebsame Kritik am Islam der Strafverfolgung auszusetzen. Todenhöfers Handeln ist genau besehen nicht das eines weltfremden Trottels, sondern das eines weltfremden Fanatikers. Sein kategorischer Imperativ lautet: Suche dir in jedem politischen Konflikt genau den Punkt, der am reaktionärsten, trübsten und menschenfeindlichsten ist, und halte dich auch dann an ihn, wenn selbst dir Zweifel kommen müssten.
[2] Sendung vom 30. Juli 2014.
[3] Peter Münch: Goldstone nimmt Vorwürfe gegen Israel zurück. In: Süddeutsche Zeitung v. 4. April 2011.
[4] zum Zusammenhang von Vernichtungsideologie der Hamas und ihrer Strategie, Opfer auf der eigenen Seite zu generieren, vgl. meine Notiz »Opferfeste«.
[5] http://www.leogfischer.com/2014/07/its-complicated.html.
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