Apr 032014
 

Das Genie ist immer kreativ. Was es auch in die Finger bekommt, es macht etwas daraus. Es macht aus wenig viel; es kann gar nicht anders. Deswegen wirkt es immer viel gebildeter, als es eigentlich ist, und kann dabei nie so gebildet sein, wie es gerne wäre.

Die Fähigkeit, die das Genie zum Genie macht, nennt sich Sagazität. Das ist das Vermögen, in eine fremde Materie einzutauchen und ziemlich schnell die Hauptpunkte an der erkennen zu können. Bildung und Erkenntnis sind nach meiner Erfahrung gegenläufig. Bildung ist Aufnehmen von Material. Erkenntnis ist Verarbeiten von Material. Wer aus wenig Material viel machen kann, den schläfert das Aufnehmen schnell ein. Der kann keine Stunden und Aberstunden jeden Tag philosophische Werke konspektieren und lesen bis zum Einschlafen. Der ist nach einer Seite schon so voller Gedanken, daß er schreiben muß, schreiben und schreiben. Das Hirn will unablässig Theorie hervorbringen, das hindert ihn daran, welche aufzunehmen.

Die Polyhistoren sind nicht an dem Punkt ausgestorben, da die Menschheit so viel wußte, daß ein einzelner Mensch es nicht mehr fassen konnte, sondern dann, als es nicht mehr möglich war, die auch bei Aristoteles, auch beim Heiligen Thomas und auch bei Leibniz schon bestehenden Lücken des Wissens durch Scharfsinn aufzufüllen. Der Versuch, auf dem Weg der Universalgelehrtheit zum Genie zu kommen, ist paradox, weil gerade die umfassende Gelehrtheit diesen Weg verhindert. Deswegen wendet sich Faust der Magie zu, während für seinen Famulus Wagner das Weltwissen immer noch nichts anderes ist als die Ansammlung von Einzelwissen.

Es versteht sich, daß nur der bauen kann, der auch Baustoff hat. Ein Weltwissen ohne Einzelwissen ist keins. Daß Sammlung von Einzelwissen zugleich Voraussetzung und Hindernis für Weltwissen ist, ist nicht mehr paradox als der Widerspruch zwischen Kraft und Ausdehnung, Form und Stoff überhaupt ist. Der Stoff ist geistlos, die Form ist leer. Nur miteinander, als lebendiges Paradoxon, haben sie Gültigkeit. Deswegen ist, wer die Welt kennen will, gut beraten, nicht zu viel von ihr zu kennen. Deswegen mithin ist der heutige Versuch, Universalgelehrtheit herzustellen, nicht nur aufgrund der Wissensmenge zum Scheitern verurteilt, sondern auch traurig, da die Pluralität des Einzelwissens unvermeidlich zu einem Mangel an theoretischer Zugkraft führt.

Sorry, the comment form is closed at this time.