Feb 232012
 

 

Statt dessen ein paar über den Liberalismus

 

Mir fällt zu Gauck nichts ein. Dafür fällt mir was auf. Seit ein paar Tagen gehts wieder mächtig um Freiheit. Das hat seinen Grund in dem, dass der Teapartymann und Pastor Joachim Gauck demnächst zum König gekrönt werden soll. Ich muss ihn nicht vorstellen. Sein Leben ist bekannt. Geboren 1940 in Rostock, zu einem Studium an einer staatlichen Universität reichte es nicht, folglich studierte er Theologie. Zum Theologen langte es ebenfalls nicht, folgte also die Arbeit als Pastor und IM »Larve«.1 Nach 1990 dann Chefverfolger seiner ehemaligen Kollegen. Der einzig nennenswerte Erfolg der nach ihm benannten Behörde bestand darin, dem Ampelmännchen nachgewiesen zu haben, dass es nicht nur grün, sondern auch rot war. Seit 2000 Privatier und, glaubt man Gerüchten, auf der Suche nach der zweiten Karriere in Hollywood, in der es aber nachweislich bloß zu einer Hauptrolle in einem B-Movie gereicht hat.2 Zurückgekehrt nach Deutschland versuchte er sich als Fernsehmoderator und Buchautor. Das Ergebnis: desaströs. 2010 verlor er die Wahl um das Amt des Bundespräsidenten gegen einen Konkurrenten, gegen den zu verlieren vorher als unmöglich galt. Joachim Gauck – das Leben eines Verlierers. 2011 erschien in der Bundeszentrale für politische Bildung der Sammelband »Crazy Joachim: Petzer und Hetzer«, der als bislang umfassendste Würdigung seines Schaffens gilt.

Ich sagte ja: Mir fällt nichts ein. Gaucks Wahl ist die denkbar schlimmste Katastrophe. Ein Supergauck sozusagen. Das trifft noch vor dem Inhalt auf die Art zu, in der der Mann sich inszeniert. Sein Gegockel, seinen Sound, seine nicht einmal subtilen Versuche, den Mangel an Substanz und die nur allzu gut erkennbare Bereitschaft, das hohe Amt zum Durchdrücken seiner partikularen Meinungen zu nutzen, durch einen Vorrat an Gesten und Handlungen zu kaschieren, die sich vor die Sache setzen und auf nicht-rationale Weise ihre Wirkung im Volkskörper entfalten. Gauck überschreitet immer wieder die Grenze der rationalen Herrschaft hin zur charismatischen, und die einzige Art, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ohne ins Ekelhafte zu kommen, das sind Überlegungen zu der von ihm verbreiteten Ideologie, die gestatten, sein Trachten zu behandeln, ohne von ihm selbst allzu viel Notiz nehmen zu müssen.

Gauck, wie man weiß, hat auf alles eine Antwort, und wenn ich »eine Antwort« sage, dann meine ich: eine. Sarrazins Rassismus? Freiheit! Sozialabbau? Freiheit! Kein Sex mit Nazis? Freiheit! – Sein Irrtum liegt in der Annahme, dass die Freiheit die Antwort auf die gesellschaftliche Frage ist. Die Freiheit aber ist nicht die Antwort, sondern die Frage. Wo sie als Begriff fällt, geht die Überlegung überhaupt erst los.

Wie man ebenfalls weiß, gehört Joachim Gauck zur extremen Rechten der Bundesrepublik, genauer zu jener Fraktion, die ich nicht-völkische Rechte genannt habe, da ihr Alleinstellungsmerkmal in der Fähigkeit liegt, Misanthropie auch ganz ohne Rassismus zu artikulieren: als Bewusstsein einer herrschenden Klasse, die sich nicht gegen Ethnien, religiöse Minderheiten und dergleichen richtet, sondern ganz einfach gegen die Unterschicht insgesamt. Hegel war weniger umständlich und sprach in betreff dieses Bewusstseins von reichem Pöbel. Für die Gestalten, die sich unter diesem Label versammeln, hat jeder Anflug von Sozialstaat einen Beigeschmack von Faschismus. Man träumt von einem Staat, in dem die reelle Freiheit sich darin umsetzt, dass dessen einzelne Mitglieder durch die schiere Existenzangst zu Höchstleistungen getrieben werden. Man träumt von einer Wirtschaft, die von Steuern ebenso wie von jeder Rücksichtnahme gegen die Menschen befreit ist, die für sie arbeiten und konsumieren. Zu den Sprechern dieser Oberschicht gehört – neben Netzwerkern wie Brüderle, Merz, Clement, Sarrazin3 und Hans-Olaf Henkel sowie den ihnen beigestellten schreibenden Hilfstruppen der Marke Jan Fleischhauer, Götz Aly, Hannes Stein, Josef Joffe oder Berthold Kohler – auch der Pastor Gauck. Dieses Heer aufrechter Freiheitsmänner wünscht sich einen gesellschaftlichen Zustand herbei, dessen zwangsläufige Folge das Vorhandensein einer gigantischen Armut ist, und bringt es aber zugleich fertig, den Armen die Schuld an diesem Zustand zu geben. Die Armut, weiß die Oberschicht, kommt von der großen Powerteh.

Der Begriff, um den sich in dieser Richtung alles wickelt, ist die Freiheit. Einen anderen hat sie nicht. Braucht sie auch nicht, denn die Freiheit ist ein ideologischer Joker, der alles ermöglicht. Freiheit und Wohltätigkeit, muss man nämlich wissen, gehen nicht zusammen. Aber formulieren muss man das können. Es macht doch einen Unterschied, ob ein liberaler Ideologe sagt, er finde erstrebenswert, die schwachen Mitglieder der Gesellschaft dafür büßen zu lassen, dass sie weniger begabt, aus schlechtem Elternhause, krank, alt oder sonstwie benachteiligt sind, oder ob dieser Ideologe es formuliert wie z.B. Alan Posener, der sich vor zwei Jahren wendete gegen eine »Politik, die darin besteht, Wohltaten zu verteilen, statt Menschen in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen«. Klingt irgendwie netter, nicht?

Gedanklich unterscheidet man nicht erst seit Charles Taylor zwischen positiver und negativer Freiheit, einer Freiheit von und einer Freiheit zu etwas. Der Liberalismus lebt davon, den Begriff der Freiheit positiv zu formulieren und negativ zu verstehen. Man spricht von Chancen, wenn es um die Gesellschaft geht, und von Unfreiheit, soweit es den Staat betrifft. Wenn etwa Millionen Menschen von einer gnadenlosen Bewegung der Ökonomie in die Mittellosigkeit gedrängt werden und vom gesellschaftlichen Verkehr ausgeschlossen sind, gilt das nicht als Form der Unfreiheit, denn die soziale Auslese ist kein von außen auferlegter Zwang, sondern wird als naturgemäß verstanden. Wer durchs soziale Sieb fällt, hat einfach seine Chancen nicht genutzt, und wenn es nur endlich alle Menschen wie Mark Zuckerberg machten, gäbs auch bald keine Armut mehr. Wenn hingegen ein Staat Restriktionen wirksam werden lässt – z.B. gegen die Vergrößerung von Armut –, gilt das bei den Freiheitsfreunden als realisierte Unfreiheit. Ich hebe dieses Doublethink deswegen so heraus, weil es mir darauf ankommt zu zeigen, dass die Liberalen auf ihr Wer wen? ebenso großen Wert legen wie die Leninisten. Wenn ein Liberaler davon spricht, die Menschen »in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen«, dann versteht er darunter nicht Eigeninitiative in einem Rahmen, worin Möglichkeiten zur Nutzung gegeben sind und erhalten werden, sondern er meint den Verlust der Möglichkeiten für diejenigen, die ihre Chancen nicht beizeiten zu nutzen wussten.

Geschichtlich steht die Freiheit am Ende der orientalischen Despotie und gemeinsam mit der Sklaverei am Anfang des Abendlandes. Das ist kein Zufall. Despotie ist jenes Verfahren, mittels Unterdrückung gegen die Starken die Freiheit der Schwachen zu garantieren, und natürlich bedeutet diese gleichmäßige Verteilung der Freiheit in Wahrheit ebenso sehr ein gleichmäßiges Verteilen von Unfreiheit. Das schließt die Unterdrückung der Lords ebenso ein wie die Verhinderung der Pöbelherrschaft. Wenn das Ende der Despotie den Beginn von Freiheit und Sklaverei zugleich bedeutet, zeigt sich darin die Neigung der reellen Freiheit, Ungleichheit und Unterdrückung zu schaffen, und diese hat sich bis in unsere Gegenwart hinein bewahrt, denn Freiheit, das ist immer auch die Freiheit derjenigen, die der Unterdrückung anderer fähig oder willens sind. Die Einsicht, dass Freiheit und Unterdrückung als gesellschaftlich verwirklichte Erscheinungen, wie die zwei Gesichter des Ianus, zugleich verschieden und untrennbar sind, ist so sehr aus dem Leben gegriffen, dass sie als die ungeheure Peinlichkeit, die sie für alle Beteiligten (für Unterdrücker wie Unterdrückte) ist, bis heute von einem weißen Fleck auf der Landkarte des Liberalismus überdeckt wird.

Der Liberalismus redet gern von der Freiheit des Einzelnen, und das muss er auch. Spräche er, ehrlicherweise, von der Freiheit derer, die die Fähigkeiten haben, sie gegen die Freiheit Anderer durchzusetzen, hätte er wohl deutlich weniger Anhänger. Er schmeichelt dem freien Willen, der ein bockiges Geschöpf ist, das keine zwei Meter weit sehen kann. Die liberale Ideologie ist ganz nach den Gewohnheiten dieses bockigen Wesens eingerichtet. Alle reden von Freiheit, und natürlich versteht ein jeder seine eigene darunter. Die Freiheit kann niemals für alle sein, und obgleich ich zugeben muss, dass es manch einen Liberalen gibt, der sich im Zynismus gefällt, das ganz offen zuzugeben, wird man sie doch alle wieder beisammen finden, wenn es darum geht, für ihre Sache Anhänger zu finden. Wahlkampf ist eben etwas anderes als Regieren.

Die Paradoxie liegt also darin, dass der Liberalismus seinen gegen-demokratischen Zweck nur durchsetzen kann, indem er sich des demokratischen Verfahrens bedient. Der Freiheitsbegriff dient dem Verdecken des eigentlichen Zwecks. Stellen Sie sich vor: King Arthur ist tot, und die 16 Ritter der Tafelrunde beraten sich. Keiner sagt: Ich will König werden! Sie reden alle nur unausgesetzt davon, dass das Recht, König zu werden, für jedermann unantastbar ist. Solange der Diskurs so theoretisch bleibt, lässt sich die Illusion aufrechterhalten, sie alle hätten miteinander dieselben Interessen. In Wahrheit haben sie alle von Beginn sehr unterschiedliche, gegeneinander gerichtete Interessen. Jeder der 16 möchte, dass die anderen 15 nicht König werden. Und jeder am Tisch weiß, dass nur einer König werden kann. Trotzdem reden sie wie Geistesbrüder, und gewiss sind sie das auch. Gerade in ihrem Gegeneinander liegt ihre Gemeinsamkeit. Aber das muss unausgesprochen bleiben, weil die Tafel sonst bräche. Es gibt nämlich einige unter ihnen, deren Chancen von vornherein schlechter sind, die möglicherweise das Spiel um die Nachfolge sprengten, wenn ihnen das unverdrängbar zum Bewusstsein käme. So muss die Gruppe der 16 Todfeinde sich immer wieder als Gemeinschaft darstellen und das Königsamt als höchstes Gut, das jeder erreichen kann, ja geradezu verpflichtet ist, danach zu streben. Es muss als unfein, als peinlich und im Grunde als Verrat an der Gemeinschaft gelten, dieses Spiel um Thron und Tod nicht mitzuspielen oder gar unterbinden zu wollen.

An dieser Stelle angelangt und mit der Suche nach einer zum Abschluss geeigneten Pointe befasst, flattert mir die Mitteilung einer weiteren Wortmeldung zur, sagen wir doch ruhig: Gauck-Affäre ins Haus. Sie stammt von Vera Lengsfeld-Wollenberger-Lengsfeld, die nicht nur die lustige Unterscheidung zwischen natürlicher und künstlicher Empörung in die Debatte eingeführt, sondern mir auch den Gefallen getan hat, dem hier skizzierten Bewusstsein ein weiteres Mal zum Ausdruck zu verhelfen: »Die linke Netzcommunity echauffierte sich gar, dass Gauck ›Eigenverantwortung‹ fordere. Das scheint bei manchem Empfänger von staatlichen Wohltaten inzwischen die schlimmste Drohung zu sein.«4

Es sind oft die einfachen Gedanken, die einem zuletzt kommen. Während ich noch über Struktur, Prämisse und Implikation dieser Aussage nachdachte, wies mich ein Freund darauf hin, wer da spricht. Vera Lengsfeld lebt seit 1990 auf Staatskosten: als Hinterbänklerin gleich mehrerer Parteien im Bundestag und ohne erkennbare Leistungen. Sie hatte nie ein Regierungsamt inne, trat auch sonst kaum je anders in Erscheinung als durch, bald in dieser Zeitung, bald in jenem Blog, veröffentlichte Glossen. Wie ihr Genosse Ruprecht Polenz scheint sie endlos Zeit zu haben, sich dem (linken und unlinken) Netz mitzuteilen. Ein Lebenswandel, gegen den selbst der gemächliche Pastor Gauck wie ein Arbeitstier wirkt. Vielleicht hatte der traurige Sarrazin doch simpel recht, als er so (oder so ähnlich) sagte: Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, den Staat ablehnt und auf der ›Achse des Guten‹ ständig neue Hetze produziert.

  1. Rayk Wieland: Die Larve. In: konkret 8/1997. []
  2. Gauck hat stets abgestritten, dass seine Darstellung des Carl Fredricksen in »Up« der Beginn einer Karriere in Hollywood sein sollte. Tatsache ist, dass diesem Auftritt keine weiteren Rollenangebote folgten. In der Branche hieß es, Gauck sei ein schwieriger Mensch und als Actor verbrannt. Während der Dreharbeiten zu »Up« war es zu zahlreichen Wutausbrüchen gekommen. Immer wieder soll Gauck der Regie mit dem Script in der Hand fuchtelnd vorgeworfen haben, dass sie die notwendige Kritik am DDR-Regime nicht deutlich genug herausarbeite. []
  3. Sarrazins Rassismus scheint mir in Hinblick auf den nicht-völkischen Charakter tatsächlich eher ein Betriebsunfall und ganz unnotwendig zu sein. Er, der Feind der Armen par excellence, hat mit seinem letzten Buch die Feindschaft auf die Migranten verschoben, was ihm gerade bei den Unterschichten, bei seinem eigentlichen Feindobjekt also, Zustimmung einbrachte. Aber auf diese Zustimmung kommt es nicht an; in seiner eigentlichen Zielgruppe hat Sarrazin aufgrund seines peinlichen Biologie-Kapitels einiges an Zustimmung verloren, so dass der Beifall verschämt und irgendwo zwischen dem Das-wird-man-doch-wohl-noch der BILD-Zeitung und dem Das-hätte-er-geschickter-formulieren-müssen eines Helmut Schmidt bleiben musste. []
  4. Vera Lengsfeld: Die künstliche Empörung. Gauck-Gegner im Netz (Kommentar auf der Achse des Guten, 22. Februar 2012). []

  One Response to “Kein Wort über Gauck!”

  1. […] habe, um in Ruhe abzuwarten, daß Joachim Gauck vorbei schwimmen wird… Denn unterdessen ist alles zu ihm gesagt worden, was zu sagen ging. Nur Bilder noch sagen mehr. Gefällt mir:Gefällt mirSei […]

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