Da hat doch Bundesdingens Horst Köhler zum 20. Jahrestag des Mauerfalls in seiner Maison de plaisance Bellevue eine Veranstaltung für „Gegner des SED-Unrechts“ ausrichten lassen, auf der zwölf Bundesverdienstkreuze an zwölf Bürgerrechtler der DDR-Zeit verschenkt wurden. 12 Kreuze an 12 Bürgerrechtler – offenbar war beides im Dutzend billiger.
Für den Eklat des Abends sorgte Stephan Krawczyk, der – nachdem er zusammen mit Freya Klier seine drittklassige Schmierlyrik vorgetragen hatte – gebeten wurde, die Nationalhymne anzustimmen, und dies tat, indem er sogleich die seit der Nazizeit zu Recht gebannte erste Strophe der Hymne skandierte. Er soll verwundert in die Menge geblickt haben, als er die Tatsache gewahr wurde, daß die übrigen Anwesenden Deutschland nicht von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt sich erstrecken lassen wollten. Und Horst Köhler soll sich dann geräuspert und die Worte gesprochen haben: „Die dritte Strophe bitte.“
Courage, Herr Köhler, Courage! Wir hatten schon Präsidenten, die in dieser Situation sicher reflexhaft mit eingestimmt hätten. Aber Sie brauchen nun auch nicht so pikiert dreinzuschauen, schließlich: Wer sich Straßenköter ins Haus holt, darf sich nicht wundern, wenn es ihn nachher an allen möglichen Stellen juckt.
Sie merken: Gelegentlich, wenn der Wind ungünstig steht, hört man sogar hier oben auf dem Parnassos ein wenig vom alltäglichen Geplänkel, das gemeinhin und in Unkenntnis, was das Wort bedeutet, Politik genannt wird. Meine Freunde wissen, ich halte das übermäßige Bedürfnis zur Tagespolitik, unter dem nicht wenige Menschen hierzulande leiden, für eine Art Charakterschwäche, sehe aber einstweilen noch davon ab, Erziehungsanstalten einrichten zu lassen, in denen man den Leuten alle Gedanken daran mit der Knute austreibt. Leider nur sind diejenigen, denen ich es gern austriebe, nicht so milde mit mir wie ich mit ihnen; aus irgendwelchen Gründen glauben Polikbesessene immer, jeder andere müsse mindestens ebenso politikbesessen sein wie sie selbst.
Zu den Politikbesessenen gehören auch die Bürgerrechtler, und auch hier wissen meine Freunde wieder etwas: die nämlich hat der Bartels besonders ins Herz geschlossen. Das ist keine Frage des Inhalts, sondern der Haltung. Bürgerrechtler gibt es in allen Lagen und in jeder Richtung, denn ihre bevorzugte Richtung ist das Dagegen, und das – weil es vollkommen von dem abhängt, wogegen es ist – ist inhaltlich austauschbar. Es gibt keinen Grund, etwas, das einmal gut gesagt wurde, ein weiteres Mal mit anderen Worten zu wiederholen. Im Sommer 2006 habe ich folgende Worte über das Phänomen Bürgerrechtler geschrieben:
[D]er Bürgerrechtler ist eine überhistorische Gattung Mensch. Er ist ein ewig nörgelnder Charakter, der, um nicht mit sich zu hadern, dies mit der Welt tut. Gern schießt er sich auf ein bestimmtes Thema ein, das er in Abstraktion, d.h. isoliert von seinen Zusammenhängen, behandelt, und selbst, wenn er wollte, könnte er das Ganze nicht sehen. Dazu ist er nicht geboren. In ihrer Eigenschaft, mit partikulärer Kritik ein Ganzes kritisieren zu wollen, ohne es im mindesten begriffen zu haben, sind sich alle Bürgerrechtler aller Zeiten und aller Orte gleich.
Soweit mein Gedankengang. Er ist, soweit ich sehe, ohne Fehl konstruiert und trifft das Phänomen dort, wo man es treffen muß: in seinem Innersten, wo hier allerdings nun rein gar nichts anzutreffen ist, abgesehen vielleicht von der psychologisch immer etwas ratlosen Diognose einer Profilneurose. Und doch faßt die Theorie nicht das ganze Phänomen, denn sie erklärt nicht das Absterben des Bürgerrechtlers im Bürgerrechtler, erklärt also nicht, warum Menschen, die so, wie beschrieben, sind, in einer späteren Phase ihres Lebens aufhören so zu sein und von unbedingten Verneinern zu unbedingten Jasagern werden, was in der Mehrheit der Fälle schließlich doch passiert. Sie erklärt nicht, warum das Phänomen Bürgerrechtler zugleich ein Phänomen der Jugend ist.
Natürlich habe ich auch hierzu eine Theorie, aber die ist so sophisticated, daß ich daraus wohl einen Aufsatz machen werde, der zur papiernen Publikation bestimmt ist. Sie Ihres Ortes können sich ja einstweilen Ihre eigenen Gedanken machen und nachher vergleichen, ob Ihre Theorie mit meiner leben kann.
Für hier und heute schließe ich mit dem versöhnlichen Gedanken, daß, genauso wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, aus einem Liedermacher noch lange kein Dichter wird. Das Bedürfnis unbedeutender Dichter, als bedeutende Dichter in die Geschichte einzugehen, ist zwar sehr groß, endet doch aber meist darin, daß sie als unbedeutende Dichter in die Geschichte eingehen, was jedenfalls schlimmer ist als ganz vergessen zu werden. Die achte Hölle des Dante ist schrecklicher als die anderen sieben zusammengenommen, und wenn Stephan Krawczyk dort angelangt ist, kann er ja gemeinsam mit Herta Müller, Kurt Barthel und Garlieb Helwig Merkel darüber die Klage erheben, daß die Ewigkeit sich für tagespolitische Fragen viel zu wenig und für Ästhetik viel zu sehr interessiert und daß sie überhaupt eine ganz übertriebene Liebe zu den Genies pflegt, während die Gutgesinnten von ihr verabscheut werden. Die Ewigkeit ihresteils weiß darauf mit nichts als einem Gähnen zu antworten. Abscheu kann man nur gegen etwas hegen, das noch mehr an sich hat außer, daß es langweilt, oder, um es mit den Worten des unsterblichen Dieter Kolenda zu sagen: „Den Sternen macht ditt janüscht.“
4 Responses to “Den Sternen macht ditt janüscht”
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[…] Hier noch ein treffender Kommentar dem nichts mehr hinzuzufügen ist […]
Ihre bevorzugte Richtung ist das dagegen…wie wahr, wie wahr…doch das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Jugend:
http://www.youtube.com/watch?v=A44fxbUL8LA&feature=related
Ja, es gibt nicht wenige Menschen, die zwar körperlich altern, aber was Haltung und Denken betrifft, nie über den Stand der Jugend hinausgehen. Ich denke, das Phänomen bleibt somit grundsätzlich eines der Jugend. Daß das Älterwerden nicht automatisch eine Emanzipation vom Standpunkt des Sturm und Drang bedeutet, beweist nur, daß nicht alle Menschen in gleichem Maße willens oder in der Lage sind, im Gang des Lebens zu lernen und zu reifen.
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