Jul 302009
 

Vor genau 80 Jahren, am 30. Juli 1929, wurde Werner Tübke geboren. Er feiert heute folglich seinen 80. Geburtstag, und es ist traurig, daß wir ihn ohne ihn feiern müssen.

Andererseits: Der Tod von Klassikern ist ihre eigentliche Geburt, und daß Werner Tübke ein Klassiker ist, daran hat schon zu seinen Lebzeiten kaum einer gezweifelt. Ich zögere nicht, Tübke den größten Maler des 20. Jahrhunderts zu nennen. Es ist wohl weniger schwer, der größte Maler des 20. Jahrhunderts zu sein als z.B. des 16., aber immerhin hat das 20. auch ein Genie wie Dali hervorgebracht, der handwerklich vollkommen ist und an dem einzig ein gewisser Hang zur inneren Leere verdrießt. In Tübkes näherem Umfeld befanden sich Künstler, die nicht unbedingt zu den schlechtesten ihrer Zeit zählen, wie etwa Zander, Heisig und Mattheuer. Man mag sie derselben Schule zurechnen oder nicht, man mag einem jeden von ihnen seine eigene Unüberholbarkeit zubilligen, aber Tübke überragt sie alle um ein vielfaches. Nur er hat ein Monument geschaffen wie das Panorama in Bad Frankenhausen, das ich, wiederum ohne zu zögern, der Deckenmalerei der Sixtinischen Kapelle zugeselle, eine Gesellschaft, die beiden Werken zur Ehre gereicht.

Das Panorama zeigt den Bauernkrieg; sein Titel ist (leider) eine Wiederaufnahme jenes wenig intelligenten und falschen Terminus, den Friedrich Engels hinsichtlich des Bauernkriegs geprägt hat: Frühbürgerliche Revolution in Deutschland. (Mir will nicht recht in den Kopf, warum man die leibeigenen Bauern eine Klasse sein läßt, die Revolution hingegen, an der allein sie teilgenommen, dann aber einer anderen Klasse zuschreibt.) Zugleich ist das Gemälde, siehe unten rechts, eine Versammlung der hervorragendsten Persönlichkeiten des dargestellten Zeitalters: Dürer, Luther, Cranach, Hans Sachs, Sebastian Brant, Melanchthon, Erasmus, Ulrich von Hutten, Kopernikus, Paracelsus, Columbus, Gutenberg und Jakob Fugger. Und auch sich selbst, als Narr, hat Tübke in dem Gemälde placiert. Hier stoßen in großer Weise Plastizität und Nachbildung der Natur auf Subjektivität und Symbolhaftigkeit; jene Mischung aus Geist und Erscheinung, die die Kunst zu dem macht, was sie ist: Versuch einer Bewältigung der Zumutungen seitens der Wirklichkeit.

Wie kann Tübke erklärt werden? Nun, jedes Genie ist immer ein Glücksfall aus innerer Veranlagung und äußeren Umständen. Man denkt an Goethes Wort über Karl Philipp Moritz, daß einer ein innerlich Verwandter sein kann und doch durch die Umstände verwahrlost, wo der Klassiker begünstigt wurde. Tübke, soviel ist sicher, war begünstigt. Und zwar außerordentlich. Wie Michelangelo hatte er das Glück, eine machtvolle Einrichtung zu finden, die ihm die Möglichkeit gab, ein solches Monument zu schaffen. Zudem kam der Auftrag genau zum richtigen Zeitpunkt. Tübke sagte einmal, daß er das Monument zehn Jahre früher handwerklich und zehn Jahre später körperlich nicht hätte bewältigt haben können.

Die Tatsache, daß Tübke in den sechziger Jahren noch vielfach mißtrauisch beäugt wurde und kaum die Anerkennung fand, die ihm auch damals schon zugestanden hätte, erwies sich somit im Nachhinein als glücklicher Fall. Lange Zeit verkannt zu werden ist nebenbeigesagt kein Unglück für ein Genie, sondern die Normalität. Tübke verfolgte seinen Stil, der weder der biederen Ausprägung des Sozialistischen Realismus, wie ihn gewisse Kulturfunktionäre (von denen ich allerdings Alfred Kurella, Tübkes kritischen Freund, der selbst ein begabter Maler und großer Kenner der Bildenden Künste war, ausnehmen will) forderten, noch den modernistischen Forderungen „zeitgemäßer“, d.h. ungegenständlicher und handwerklich schlecht ausgeführter Malerei gerecht wurde.

Versteht man den Begriff des Sozialistischen Realismus richtig, also nicht als sozialistische Kunst, sondern als Kunst des Sozialismus, die den klassisch-realistischen Maßgaben verpflichtet ist, gibt es keinen Künstler, der dieser Richtung gerechter geworden wäre als Tübke. Natürlich war Tübke Kommunist und hätte sich selbst jeder Zeit auch politisch dem Sozialismus zugerechnet, aber in der Kunst geht es kaum um politische Tendenzen, sondern immer und zuerst um die Weise, in der sie gemacht ist. Tübke ist viel mehr als nur der Maler einer politischen Richtung; er ist ein großer, nationaler Klassiker, und Nation, das meint hier zunächst klar und deutlich die der DDR. Daß er darüber hinaus, nicht was die Bedingungen der Hervorbringung, sondern was die Rezeption betrifft, auch ein Maler der Deutschen überhaupt ist, daß er in die lange Reihe gehört von Grünewald, Dürer, den Holbeins, den Cranachs, Feuerbach, Hackert usf., ist dann wieder eine andere Sache. Und ebenso wie dies ist ja auch wahr, daß Tübke zum Weltkulturerbe gehört, was ich z.B. von Jackson Pollock nicht behaupten würde.

Den viel größeren Kampf aber als den mit den Kretins der Kulturpolitik, die diesen anderthalb Jahrzehnte durchhielten und schließlich froh waren, daß sie sich mit einem Meister wie Tübke brüsten konnten, führte Werner Tübke, wie bereits angedeutet, gegen die hegemonialen Bestrebungen der Moderne. Das Wesen der Moderne ist der Verlust des Publikums. Wo der Künstler aufhört, Gefälliges zu produzieren, hört er auf, Kunst zu produzieren, hört er also auf zu sein. Genau das aber ist, was die Moderne verlangt. Die Bilder sollen ungegenständlich, untinteressant, inhaltsleer und schlecht gefertigt sein. Und wie immer, wenn eine Strömung auftaucht, die versucht, von den Maßgaben der Gattung wegzuführen, wird dies Vorhaben mit den Maßgaben der Zeit begründet. So kann man heute nicht mehr malen, in diesem Satz erschöpft sich vollständig, was einem Vertreter der Moderne im Angesicht klassischer Kunstwerke einfällt. Dieses Heute ist dabei durchaus eine komische Angelegenheit. Leuchtet doch nicht recht ein, was an dem Heute von heute so anders sein soll, daß es nicht mehr „möglich“ ist, gut gemachte Bildkunstwerke zu schaffen.

Tübke hat sich diesen einfältigen Maßgaben bis zum Ende widersetzt, was ihn gerade bei denen, die auf Basis jener Maßgaben ihr Geschäft verrichteten, nicht eben beliebt sein ließ. Ein Kunstbetrieb, der das Verfertigen schlecht gemachter Kunst zum allgemeingültigen Prinzip erklärt, zieht neben solchen, die gute Kunst könnten, wenn sie es wollten, aber absichtsvoll schlechte Ware liefern, unweigerlich auch naturbedingte Nichtkönner an, Leute also, die nicht einmal dann gut malen könnten, wenn das gerade in Mode wäre. Und kein Nichtkönner liebt es, wenn neben ihm einer malt, der allein dadurch, daß er malt, das grundlegende Theorem der Moderne, ohne das der ganze Zirkus nicht funktioniert, die Behauptung also widerlegt, man könne heute nicht mehr gut gemachte Bilder fertigen. Tübke, will ich sagen, war ein Ärgernis, weil er tat, was er wollte, konnte, was er tat, und also wollte, was er konnte.

Ich erinnere mich eines Interviews, in dem Tübke sich zu diesem Punkt äußerte. „Mir wird“, sagte er (ich zitiere sinngemäß), „immer wieder gesagt: Du hast eigentlich die ganze Entwicklung der Malerei in den letzten anderthalb Jahrhunderten verschlafen. Und da anworte ich immer: Das ist ganz richtig. Für mich war immer entscheidend, ob ich meinem Publikum mit meinen Werken etwas geben kann. Im 20. Jahrhundert bin ich nicht zu Hause. Bei El Greco, bei Cranach, bei Pieter Brueghel – da bin ich zu Hause. Aber so ein rotes oder schwarzes Quadrat …“, und er verdrehte in einer Mischung aus Ironie und gespielter Genervtheit die Augen nach oben, „… also, ich bin nicht sicher, ob ich den Leuten damit etwas gebe.“

  7 Responses to “80 Jahre Tübke”

  1. HAPPY, HAPPY BIRTHDAY TO WERNER!
    Herzlichen Glückwunsch, zu dieser, überzeugenden, Würdigung eines künstlerisch, schaffenden Zeitgenossen, des 20. Jahrhunderts, der ich mich, hier, anschließen darf. Wenn auch mein, persönlicher Kunstbegriff ein ganz anderer ist. Gut gemeint ist nicht gleich gut gedacht und gemacht, Kopf, Herz und Hand sollten, besonders in der Kunst, eine Einheit bilden. In beiden Welten, der abstrakten wie der gegenständlichen, gibt es, leider, gut und schlecht Gedacht, Gefühlt wie Gemachtes und das zuhauf, wobei ich diese pauschalen Vorurteile, der abstrakten Richtung gegenüber, als, völlig, unangebracht und nur der Legitimierung und Verteidigung der eigenen, gegenständlichen Welt dienen soll. Es gibt noch etwas über all diesen Dingen, wie die Stimmigkeit des Ganzen, das entscheidet über Kunst, oder nicht Kunst, welches ja, hier, zur Diskussion steht. Kunst ist Summe, Konzentrat und Ausdruck, menschlicher Erfahrung, Erkenntnis, Wissens und Glaubens. Es gibt nicht nur die eine, absolute Kunstform, alles ist möglich, wenn es denn, diesen Kriterien, so, standhalten kann. Darüber lässt sich, nun, sehr lange und auch, sehr trefflich Streiten.

  2. Wenn Sie sagen, daß es nicht nur „die eine, absolute Kunstform“ gibt, stimme ich Ihnen umgehend zu. Die einfachste Regel der Ästhetik lautet: Was geht, das geht. Ich halte nichts davon, ästhetische Gesetze zu formulieren, die unanbhängig von den ästhetischen Erscheinungen wirksam sei sollten. Was in der Ästhetik gültig ist, muß nach meinem Dafürhalten immer an den ästhetischen Erzeugnissen abgelesen werden.

  3. An Tübkes 80. Geburtstag war ich in der Leipziger Schau, die bei jedem Besuch ungeahnte Facetten seines Werks eröffnet. Und dann fand ich prompt Deinen Artikel, er ist der einzige angemessene. Ich habe mich in den letzten Wochen darüber geärgert, was über Tübke geschrieben wurde, oder war fasziniert vom Zeitgeist, der noch aus einem Genie einen Zwergen verfertigen möchte. Mancher wollte Tübke nun als subversiven Staatsfeind verkleiden, um ihn für Deutschland zu retten, dabei kann man sich von seinen Studenten erzählen lassen, wie er ihnen mit seiner Gesinnung auf die Nerven ging. Die Krönung: Vor zwei Tagen stand irgendwo, Tübke hätte eben nur den Fehler gehabt, daß er die Leute beeindrucken wollte, das sei eben ein „durchschaubares, naives Kunst-Konzept“. Was sollte ein Künstler, noch dazu ein Maler wünschen, als die Zuschauer Staunen zu machen!

  4. Ein Kunstwerk, das nicht beeindrucken soll – auf so einen Gedanken zu kommen ist gar nicht so leicht.

    Ich würde deine Abscheu sogar weiter führen und sagen, daß der Gedanke, Tübkes Kunstkonzept sei naiv, selbst naiv ist. Es gibt Menschen, die halten alles für naiv, was Sinn ergibt und/oder seit ein paar Jahrtausenden in Gebrauch ist. Sie wollen neu sein, aber vergessen, daß Kunst zuallererst gut sein muß und erst dann, wenn sie gut ist, gern auch neu sein darf. Und man muß schon von einer anderen Welt sein, um das nicht zu begreifen.

    Übrigens stehn wir damit auch wieder ganz in der klassischen Tradition. Bei den Griechen (zuerst bei Homer) findet sich das Fachwort für das Geschäft des Sängers: terpein, das Erfreuen, womit nicht nur im engeren Sinne das Erzeugen von Freude gemeint ist, sondern eine Lösung, ein Leichtmachen, eine Erheiterung des Gemüts, was auch durch tragische Gegenstände erzeugt werden kann. Vergnügen eben. Und das war von jeher die eigentliche Funktion der Kunstwerke. Nur seit etwa 100 Jahren tun sich Leute hervor, die meinen, man müsse Kunst machen, die nicht unterhält.

    Sollen sie. Soll jeder machen, was er will. Aber bemerkenswert ist doch, daß sie eben nicht auftreten als Vertreter einer Richtung, die neben anderen auch gehen soll, sondern sie verlangen, daß alle ihren Weg einschlagen. Das hat Tübke eben zu spüren bekommen.

  5. Lieber Felix,

    angeregt durch Deinen neuerlichen Kommentar habe ich einige unserer Erkenntnisse zusammengefaßt und um ein Sonett erweitert:

    IN TÜBKES BILDERSCHAU

    Der junge Künstler gibt sich als der Herr der Welt,
    Hunde umspielen seine ausgedachten Schritte,
    Du spürst den Schweiß im Fell. Ein Luftzug hält,
    Das Meer ist auf dem Bild, e r in der Mitte.

    Dann wird er schwierig, und er lernt das Leben
    Wie etwas Fremdes, weil er fast verbrennt.
    Er hat der Welt die Landschaft beigegeben,
    Als er die Kunst so wie das Leben kennt.

    Und als er alt wird, ist er längst verschwiegen.
    Die Menschheit nun in einem Mensch zu retten,
    Vermag er Höchstes: Einen Lichtstrahl biegen,
    Mit leichter Hand die Hoffnung betten,

    Gewänder über Knochen, Leid als Bürde.
    Er malte sie, wie er die Freude malen würde.

    (Leipzig, 10. September 2009)

    Die besten Grüße an Dich!
    Ralf

  6. ..schade nur, daß ich nicht mit dem Computer umgehen kann: das Sonett hat bei mir drei Quartette und einen Zweizeiler als Schluß.

  7. Lieber Ralf,

    schon korrigiert.

    Vielen Dank für das wunderbare Sonett. Ich war (und bin es zum Teil noch) aus technischen Gründen nur sehr unregelmäßig online. Allerdings habe ich vor allem gescheut, Dein Sonett hier zu veröffentlichen, weil die Veröffentlichung ja dann doch Sache des Urhebers ist. Die Entscheidung hast Du mir nun abgenommen, worüber ich sehr froh bin.

    Ich freue mich, so oder so, auf deinen nächsten Band. Wenn die guten Lyriker austerben, müssen die verbliebenen guten eben drei- und vierfach herstellen.

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