Das Schöne an guten Gedanken ist, daß sie verräterisch sind und alle Elemente, die sie enthalten müssen, um gut zu sein, auch enthalten. Gute Gedanken sind nicht bestechlich, und sie können sich sogar gegen den richten, der sie ausspricht. Ein Jäger weiß, wovon ich rede: Selbst ein Blattschuß erzeugt einen Rückstoß. Ein guter Jäger aber ist einer, der auf solche Unannehmlichkeiten keine Rücksichten nimmt. Und für einen guten Gedanken würde ein guter Denker selbst seine Großmutter an den bösen Wolf verkaufen.
Sehr geschäftstüchtig in diesem Sinn ist Stuart Hall:
In jedem von uns steckt ein Stück eines dogmatischen Linken, das vor unserem Bewußtsein Grenzposten steht, bestimmte wesentliche, aber unbequeme Tatsachen aus unserem Gedächtnis streicht, bestimmte Fragen für indiskutabel erklärt, keinerlei Seitensprünge erlaubt und dazu beiträgt, bestimmte automatische und unhinterfragte Reflexe beizubehalten.
Was Hall hier dazu bringt, den linken Dogmatiker in uns allen wiederzuerkennen, ist der Umstand, daß die Linken den Dogmatismus keineswegs allein gemietet haben, sondern selbst nur eine Unterart der Dogmatiker sind.
Der Dogmatismus ist eine Haltung, die ihren Vertretern den Umgang mit Gegenständen ermöglicht, die sie aus intellektuellen, ethischen oder politischen Gründen überfordern. Diese Haltung setzt die Meinung vor die Erkenntnis, und letztere läßt sie nur insoweit gewähren, als diese der vorgefaßten Meinung nicht widerspricht. Es ist übrigens zweitrangig, ob es sich bei dieser Meinung um Apologie oder Kritik handelt. Möglich ist beides, wenngleich offenkundig ist, daß die kritische Haltung diejenige ist, die eine Spur zwingender zum Dogmatismus führt.
Der einzige Herr, dem die dogmatische Haltung verpflichtet ist, ist die eigene Bequemlichkeit (die Unlust, sich mit der schwierigen Wirklichkeit auseinanderzusetzen), und folglich liegt in dieser Haltung auch kein anderer Gewinn als der, daß es leicht ist, sie einzunehmen. Ein Gewinn von Erkenntnis ist jedenfalls ausgeschlossen. Der Dogmatismus ist die Abkürzung zum Himmel, die geradewegs in die Unterwelt führt.
Diese Haltung nun findet sich nicht allein bei Linken. Vorzugsweise freilich bei denen, weil sie es vorzugsweise sind, die in den gegenwärtigen Verhältnissen die Opposition bilden. Opposition verdummt.
Aber man kann mühelos das ebenso einfältige und von Stuart Hall sehr treffend beschriebene Verhalten bei Liberalen wiedererkennen, wenn diese sich z.B. daran machen, über die Geschichte des Sozialismus zu urteilen. Da werden Sie, die in betreff der gegenwärtigen Verhältnisse die leidenschaftslosen Sachwalter gesellschaftlicher Notwendigkeiten sein wollen, mit einem Mal selbst zu systemkritischen Dogmatikern, die keinen Gedanken zulassen wollen, der nicht von Anfang bis Ende den Geist der Verdammung atmet.
Ich sag ja: Opposition verdummt.
Sorry, the comment form is closed at this time.