Jul 082009
 

Ohne Zweifel ist Opportunismus einfach ein anderes Wort für Pestilenz. Es gibt wohl keine politische Haltung, die weniger zu geben hat und zugleich doch so viel nimmt wie diejenige, die in jedweder gesellschaftlichen Lage allein darauf abzielt, dieser Lage – wie scheußlich oder indiskutabel oder auch änderbar die immer sei – möglichst gerecht zu werden, die das menschliche Individuum bedingungslos der Außenwelt unterwirft und zum bloßen Medium wirklicher oder vermeintlicher Notwendigkeiten macht.

Die opportunistische Haltung ist so abscheulich, daß praktisch niemand, und am wenigsten passionierte Opportunisten selbst, sich zu ihr bekennen. Und da der Opportunismus einmal einen so schlechten Ruf hat, wundert es kaum, daß gedankliche und charakterliche Konsequenz, als welche das konträre Gegenstück zum Opportunismus ist, gemeinhin in gutem Ruf steht.

Auch ich meine, dieser gute Ruf besteht zu Recht. Dennoch will mir durchaus nicht einleuchten, daß man jeden Menschen, der Konsequenz zu seinen Eigenschaften zählen kann, mit demselben guten Ruf versehen soll wie diese Eigenschaft selbst. Und warum das so ist, will ich gern begründen.

Gedankliche Tiefe und gedankliche Konsequenz sind zwei gegenläufige Prinzipien. Je mehr man den Dingen auf den Grund geht, desto komplizierter wird, was man findet. Also wird es auch immer schwerer, den ergründeten Stoff in eine Einheit zu bringen, zu der man sich eindeutig verhalten kann. Ein guter Denker ist einer, der in seinem Denken über sich hinausgehen, d.h. selbst seine eigene Position reflektieren, sich also gewissermaßen selbst beim Denken beobachten kann. Ein guter Denker wird, wenn er denn lange genug nachdenkt, selbst für das, was er im Leben nicht als wählbar oder akzeptabel empfinden könnte und gegen das er im Grunde mit der ganzen Kraft seiner Seele eingestellt ist, wird also selbst für das, was er verabscheut, noch irgendwelche guten Gründe finden können. Ein guter Denker, heißt das, kann ein Problem von allen seinen Seiten her durchdenken und jeden Standpunkt einnehmen; selbst den derjenigen, die er politisch oder anderweitig zu seinen Gegnern zählen muß. Konsequenz bedeutet für ihn also, sich zusammenzunehmen und, obwohl er gewissermaßen klüger ist und darüber steht, sich doch in eine bestimmte Position und Haltung einzufinden, weil die Lage oder die eigene Absicht diese Position erfordert.

Für die geistig eher mild Beschenkten ist Konsequenz dagegen ganz leicht zu haben, weil die Materie, die sie in ihrem Geist darein zu zwingen hätten, kaum Gewicht hat. Wer keine Gründe kennt als seine eigenen, der hat es auch leichter, seinen Gründen zu folgen. Wenn man sich fragt, warum in der politischen Landschaft Konsequenz und geistige Armut so oft zusammenfallen: der Grund liegt genau in diesem Zusammenhang.

  2 Responses to “Eine leichte Übung”

  1. Lieber Herr Bartels, willst Du etwa damit sagen, dass es unter den geistig Konsequenten durchaus schwarze Schafe gibt?
    Wie ist es dann mit Menschen, die aus geistiger Konsequenz Handlungen an den Tag legen, die von aussen her als opportun bezeichnet werden können? Kann man in diesem Fall auch vom Opportunismus sprechen?

  2. willst Du etwa damit sagen, dass es unter den geistig Konsequenten durchaus schwarze Schafe gibt?

    Ich will sagen, daß es unter den geistig Konsequenten auch Leute gibt, deren Konsequenz keine Leistung ist, weil sie einfach der Unfähigkeit entpringt, überhaupt etwas zu begreifen.

    Wie ist es dann mit Menschen, die aus geistiger Konsequenz Handlungen an den Tag legen, die von aussen her als opportun bezeichnet werden können?

    Es geht mir nicht darum, wie etwas von außen her aussieht, sondern es geht mir um die eigentlichen Beweggründe. Ein Opportunist ist einer, der außerstande ist, seine Umwelt als eine fremde wahrzunehmen. Sein Denken wird ganz und gar von ihr bestimmt, und seine Gesinnungswandel sind nicht das Ergebnis innerer Entwicklung, sondern das eines äußeren Wetterwechsels.

    Unter diese Definition fällt also niemand, der aus Gründen echter Einsicht seine Auffassung ändert.

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